Stellungnahmen zum Thema
"Klimapolitik in den neuen Bundesländern"

Wolfgang Müller-Michaelis
im Rahmen einer Öffentlichen Anhörung des Deutschen Bundestages
57. Sitzung der Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre"
am 11. März 1993 in Leipzig


"Da die Energiepolitik der früheren DDR durch einen sehr exzessiven Ressourcenraubbau - muß man schon sagen - und auch durch eine systematische Energieverschwendung gekennzeichnet war, ist es natürlich sehr schwierig, vor diesem Hintergrund nun zu sehr wirksamen Beiträgen im Sinne eines fortschrittlichen Umweltschutzes und eines Klimaschutzes zu kommen. Entsprechend sind die ersten Beiträge zur Entlastung der Umwelt und zum Klimaschutz ja auch unmittelbar mit der Bildung der Wirtschafts- und Währungsunion erfolgt. Wir haben einen derartig stufenartigen Effekt in bezug auf die Minderung von Emission insbesondere im Bereich von SO2 und CO2 gehabt, daß man fast von einer Revolutionierung der Verhältnisse in bezug auf diese Bereiche in den letzten drei Jahren bereits sprechen kann.

Aufbauend auf dieser bisher gelaufenen Entwicklung ist nun die sächsische Energiepolitik in ihrem Grundansatz darauf gerichtet, die Chance dieses Neuanfangs produktiv weiter zu nutzen. Das heißt konkret: eine totale Abkehr von diesem früher hier betriebenen Ressourcenraubbau und eine totale Abkehr von der früher hier betriebenen Energieverschwendung, die sich ja insbesondere auch dadurch auszeichnete, daß man den Energieverbrauch auch noch hoch subventionierte und daher der Energie, die man hier verbrauchte, kaum einen Wert beimaß.

Ich möchte nun die Fragen von Professor Michae1is und Herren Harries zusammenfassend beantworten, nämlich das Ausmaß der Braunkohlenreduzierunq mit ihren Auswirkungen auf die C02-Minderung und die Chancen einer umweltverträglichen Energieversorgung beim Neuaufbau der neuen Bundesländer betreffend.

Das erste ist ein Stopp der monostrukturierten Braunkohlenwirtschaft; statt dessen Schaffung eines sehr breit gefächerten Energiemix. Dieser Schritt als solcher ist schon ein erheblicher Beitrag in der Richtung, die ich hier dargestellt habe. Das zweite - als komplementärer Zielvorgang - ist die Förderung des rationellen Energieeinsatzes durch eine marktgerechte Energiepreisbildung, d. h. Abbau der Energiepreissubventionen und Ausrichtung auf steigende Energiepreise, Anwendung energiesparender Technologien, Minderung des spezifischen Energieverbrauchs und Schaffung von Energiesparanreizen durch eine Reihe von staatlichen Förderprogrammen, die ich in den Antworten auf den Fragenkatalog ja auch kurz dargestellt habe.

Das dritte ist ein verstärkter Einsatz umweltfreundlicher Energieträger, also den Energiemix in Richtung gering emittierender Energieträger im Zeitablauf zu verstärken, und Förderung der erneuerbaren Energiequellen im Rahmen des Möglichen, wobei wir natürlich wissen, daß der unmittelbare Beitrag zur Energiebilanz auf absehbare Zeit nicht sehr groß sein wird, aber uns geht es hier vor allem auch um die politische Signalwirkung. Wenn wir unsere staatlichen Mittel sehr konzentriert in diesem Bereich einsetzen, dann wird selbst dies zur Motivation der Bevölkerung hier beitragen und helfen, daß sich diese in diese Richtung entwickelt.

Viertens schließlich - das ist für uns in der Großtechnologie im Kraftwerksbereich ein wichtiger Punkt - nenne ich die Steigerung des Wirkungsgrades der Energieumwandlung, einmal natürlich automatisch schon durch die Stillegung der veralteten Anlagen mit hoher Emission, zum anderen durch den Neubau moderner Anlagen mit sehr leistungsfähiger Umwelttechnik und schließlich durch Modernisierung der bestehenden Anlagen, deren Nachrüstung.

Was die Braunkohlenförderung in den neuen Bundesländern angeht, so haben wir bereits, verglichen mit dem letzten DDR-Jahr, 1989, bis heute eine Reduzierung der Förderung um 50 Prozent. Das heißt, von dem traditionellen Förderniveau von rund 300 Millionen Tonnen pro Jahr sind wir heute Richtung 150; bis zum Jahr 2000 - davon gehen wir aus - wird sich die Braunkohlenförderung in den neuen Bundesländern auf ein Drittel der traditionellen Förderhöhe verringern, d. h. es ergibt sich ein Abbau um 66 2/3 Prozent auf unter 100 Millionen Tonnen.

Der Effekt an CO2-Minderung ist in meiner Antwort auf die Frage 2.1 des Fragenkataloges dargestellt; ich verweise darauf. Nur kurz zusammengefaßt, um einmal die Zahl hier zu nennen, und dies jetzt auch nur auf den Freistaat Sachsen bezogen: Gegenüber einem CO2-Ausstoß im Jahre 1987 von 122 Millionen Tonnen wird unter den in unserem sächsischen Energieprogramm getroffenen Annahmen bis zum Jahre 2005 ein Rückgang auf 65 Millionen Tonnen, d. h. um 47 Prozent erwartet.

Diese Aussage über die CO2-Minderung jetzt gezielt auf den Bereich bezogen, in dem wir besonders gute Möglichkeiten haben, noch weitere Erfolge zu erzielen, und das ist in der Kraftwerksstrategie, möchte ich Ihnen das abschließend am Beispiel der gegenwärtig in Sachsen ablaufenden Planung zur Erneuerung des Kraftwerksparks mit wenigen Zahlen erläutern.

An den beiden Kraftwerksstandorten Boxberg und Lippendorf/Thierbach haben wir gegenwärtig 30 Kraftwerksblöcke unterschiedlicher Leistung mit einer Gesamt-Kraftwerksleistung von 6000 Megawatt in Betrieb. Die Nettowirkungsgrade dieser Blöcke schwanken zwischen 28 und 30 Prozent, sind also sehr gering. Von diesen 6000 MW werden 5000 stillgelegt. 1000 MW werden gegenwärtig nachgerüstet, und anstelle der stillgelegten Blöcke werden jetzt 3200 MW an den zwei genannten Standorten - Boxberg und Lippendorf - neu errichtet, und zwar mit modernster Kraftwerkstechnik und entsprechend sehr stark steigendem Nettowirkungsgrad - auf über 40 Prozent.

Durch den von unter 30 auf über 40 Prozent erhöhten Wirkungsgrad wird der spezifische Brennstoffeinsatz und damit auch der CO2-Ausstoß allein schon um 25 Prozent reduziert. Durch den kumulierten Effekt der Stillegung von Kraftwerken alter Generation, deren teilweiser Ersetzung durch Kraftwerke moderner Technik mit einem Wirkungsgrad über 40 Prozent und durch die Nachrüstungsmaßnahmen wird insgesamt der CO2-Ausstoß aus diesem Kraftwerkspark um 50 Prozent reduziert."

(S. 22 - 25)

(...)

"Also, ich war vor zwei Stunden gefragt worden nach meiner Haltung zur CO2-steuer. Ich möchte Ihnen meine Meinung dazu nicht vorenthalten, aber vorab sind so viele Punkte angesprochen worden. Ich möchte wenigstens auf zwei kurz in jeweils einer halben Minute etwas sagen dürfen.

Das Grundlastkraftwerk Lippendorf, dieses große Investitionsprojekt, ist vom Vertreter der Stadt Leipzig, meines Erachtens in irritierender Weise, hier doch abwertend angesprochen worden. So mit dem Hinweis, da würden ja doch nur ein paar ABM-Kräfte letztlich in Lohn und Brot gebracht, was soll das Ganze eigentlich. Ich glaube, damit wird man diesem Projekt und seiner regionalen Bedeutung für diesen gesamten Raum nicht gerecht. Es ist das größte Investitionsprojekt, das wir im Raum südlich von Leipzig auf absehbare Zeit haben werden, mit einem Investitionsvolumen von summa summarum 5 Mrd. DM. Es wird hier eine wettbewerbsfähige heimische Wertschöpfung erreicht, die wir in anderen Bereichen in den neuen Ländern nicht haben. Wir haben wenige Bereiche, in denen wir aus dem Stand heraus wettbewerbsfähig sind und heimische Wertschöpfung haben, und die wenigen Bereiche, in denen wir dieses können, sollten wir dann auch nutzen, abgesehen davon, daß wir sie auch benötigen. Herr Ziesing und Frau Dr. Hartenstein hatten sich zu meiner Darstellung etwas geäußert. Ich hatte den Zusammenbruch der Strukturen durchaus als einen zu würdigenden Vorgang hier für unsere Ökobilanz dargestellt. Es ist so ein bißchen mit einem Negativwerturteil versehen worden in dem Sinne, das, was durch Zusammenbruch dieser Strukturen an positiven Effekten für den Klimaschutz erfolgt ist, das nehmen wir gar nicht zur Kenntnis, das ist im Grunde genommen nebensächlich, das ist nicht unser Thema. Ich würde dieser Kommission empfehlen, für jede Million Tonnen Minderung von CO2 die Sektkorken knallen zu lassen und nicht zu fragen, woher diese Minderung letztlich kommt. In diesem Fall will ich Ihnen sagen, woher sie kommt. Sie kommt aus der positiven Kraft des Marktes. Hier hat nämlich der Markt zugeschlagen und hat nicht mehr wettbewerbsfähige, alte, energieintensive Industriestrukturen kaputtgemacht. Und ich kann sagen, zu unser aller Segen hat er sie kaputtgemacht, denn wir werden langfristig einen Struktureffekt haben und auf den müssen wir sehen. Der Struktureffekt, der aus diesem schöpferischen Prozeß a la Schumpeter hervorgeht, ist nämlich, daß wir nie wieder diese Apparate hier haben werden und Emissionen in diesem hohen Maße in die Welt hineinbringen. Das sollten wir feiern und sollten wir nicht beklagen. Selbstverständlich wäre es verfehlt, diesen Effekt selbstgefällig bereits als die Lösung unseres Problems zu sehen. Dafür, und darauf habe ich ja auch hingewiesen, bedarf es einer konzertierten Gesamtstrategie für die Einführung rationeller Energienutzung und für die Förderung regenerativer Energieträger quer durch alle Sektoren in der Umwandlung, im HuK-Bereich, in der Industrie, im Verkehrssektor. Ich darf mich hier beziehen auf die schriftlichen Ausführungen insbesondere zu Frage 2.5, wo ich die Förderung der regenerativen Energieträger, soweit sie aus der Sicht der Sächsischen Staatsregierung mit Förderprogrammen versehen werden, darstelle. Ich glaube, daß dieser Katalog deut1ich macht, in wie starkem Maße wir uns gerade dieser Aufgabe zuwenden wollen. Dazu kommt natürlich dann der ganze Bereich der Energieeinsparung und der rationellen Energieverwendung. Hier kommt es nicht nur auf die in der Beratung befindliche Wärmeschutzverordnung an. Ich bin persönlich der Meinung, ich spreche also hier als persönlicher Experte, nicht als Vertreter der Staatsregierung, wenn ich ein nationales Sonderprogramm Energieeinsparung und rationelle Energieverwendung hier einmal ins Gespräch bringen möchte als sinnvoll und zielführend, um auf diesem Gebiet voranzukommen. Die Bundesregierung selbst hat, das Wirtschaftsministerium hat es genauer gesagt, am 12. Dezember 1991 in ihrem Energiekonzept eine Ankündigung in diese Richtung gemacht. Ich glaube, vor allem wenn man die Mittel für diesen Zweck konzentriert im Osten einsetzen würde, wäre das sehr zielführend und wäre im Sinne unserer Aufgaben.

Die CO2-steuer: ich glaube, die Diskussion darum führt in die Irre, wenn wir nicht immer wieder den Zusammenhang der CO2-Minderungstrategie im Auge haben, und hier gibt es eben einfach nur zwei Alternativen: das ist die Energieeinsparung und das ist die Substitution stark emittierender durch schwach emittierende Verfahren. Die problemadäquate Strategie muß also immer eine Doppelstrategie sein. Ich muß die Energie so teuer machen, daß sie wirklich gespart wird, und ich muß auch eine Kompensation anbieten, um mich in Bereichen zu betätigen, wo ich in der Tat mehr erreiche als in anderen Bereichen, in denen eben schon sehr viel getan worden ist. Ich glaube, daß die Energieverteuerung in der Tat, wenn es der Markt von sich aus nicht schafft, durch eine Energiesteuer, aber nicht durch eine CO2-Steuer am besten erreichbar wäre. Und ich beziehe mich hier dann und verweise auf den Vorschlag von Ernst Ulrich von Weizsäcker, der hier eine kontinuierliche Steueranhebung über einen längeren Zeitraum vorschlägt. Ich halte das durchaus für eine sehr sinnvolle, zielführende Maßnahme in unserem Kontext, allerdings mit dem Junktim einer EG-weiten Einführung oder einer im OECD-Raum, sagen wir einmal, parallel einzuführenden Maßnahme, weil sie sonst eine Wettbewerbsverzerrung herbeiführen würde.

Der zweite Punkt neben der Energieverteuerung ist natürlich die Kompensation. Sie ist hier bisher nicht angesprochen worden, Ich bin schon der Meinung, daß wenn heute gesagt wurde, wir sollten nicht nur Osteuropa sehen, weil wir uns mit unseren eigenen Problemen hier beschäftigen sollten, dies einen durchaus falschen Einstieg zur Problemlösung darstellt, denn die globale Dimension des Klimaschutzes muß auch im Einsatz der Mittel zu einer Verbesserung eine Entsprechung finden. Und wir müssen eben sehen, daß wir die verfügbaren Mittel, die wir alle zusammen auf der Welt haben, um dieses Problem zu lösen, dorthin lenken, wo sie eben den größten Nutzen stiften, und wenn ich da die Wahl habe, dann muß ich es tatsächlich so machen. Allerdings muß ich dies auch organisieren. Ich glaube, es ist mehr unser Unvermögen, diesen Vorgang zu organisieren, der uns dazu bringt, es nicht anzusehen, als der Vorgang als solcher. Wir sollten daher, das wäre mein letztes Wort dazu, bei der Klimaschutzpolitik uns in der Tat überlegen, ob wir nicht die Kompensationsidee etwas stärker in der pragmatischen Umsetzbarkeit, Machbarkeit zu überlegen und nach Organisationswegen zu suchen mit dem Ziel, unsere knappen Mittel zu den größten Dreckschleudern zu bringen und damit wirklich einen Durchbruch für den Klimaschutz zu erreichen."

(S. 98 - 101)

(...)

"Ich bin gefragt worden nach der Förderung von solarthermischen Anlagen, auch wenn sie als Gemeinschaftsanlagen vorgesehen und geplant sind. Ja, sie fallen auch in das Förderprogramm. Dieser Punkt gibt mir die Gelegenheit, noch einmal darauf hinzuweisen, daß das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit bei seiner Förderung der erneuerbaren Energieträger sich sehr stark gerade in diesem Bereich konzentriert. Vier von sieben Förderprogrammen beziehen sich auf die regenerierbaren Energieträger und dieses dokumentiert, glaube ich, sehr stark, wie sehr wir uns dieser Gruppe von Energieträgern zuwenden. Meine Statements im Laufe dieses Nachmittags zur Braunkohle sollen also nicht den Eindruck erwecken, als ob ich hier nun alleine aus der Kohlesicht für Sachsen spreche. Wir sehen das als eine komplementäre Strategie. Wir brauchen die Braunkohle in einem reduzierten Maße für die Absicherung der Grundlastenergie und wir brauchen die erneuerbaren Energien und wir brauchen das Energiesparen vor allem für eine moderne Energieversorgung. In diesem Sinne würde ich sagen, das, was wir früher hier in dieser Region falsch gemacht haben mit der Ausbeutung einer wertvollen Ressource, genau das wollen wir im Sinne des Klimaschutzes neu machen und ich bin fast bereit zu sagen, daß wir hier nicht mehr von der alten Braunkohle, sondern von einer grünen Braunkohle heute in Sachsen sprechen würden."

(S. 117 - 118)

aus dem Protokoll der 57. Sitzung der Equete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestages vom 11. März 1993 in Leipzig