Fundraising in Zeiten von Funddrifting
Zur Finanzierung gemeinnütziger Aufgaben im Dritten Sektor
Wolfgang Müller-Michaelis
Die Aufgabe des Fundraising besteht darin, für einen guten Zweck mit guten Ideen gutes Geld zu beschaffen. In Zeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur ist das eine reizvolle Aufgabe. Wenn sich Unternehmen wachsenden Märkten und steigenden Gewinnerwartungen gegenübersehen, verbindet sich ihr Erfolgsstreben in bester Harmonie mit innovativen Ideen der Imagepflege, die zugleich dem Gemeinwohl dienen. Schlägt die Konjunktur aber um und werden die Märkte enger und die schlaflosen Nächte der Manager länger, driften auch die Funds, die der Fundraiser einst als sichere Beute wähnte, in weite Ferne.
Das Problem, das sich in dieser Lage stellt, liegt auf der Hand. Die gemeinnützigen Zwecke verschwinden nicht, wenn die Wirtschaftskonjunktur zur Talfahrt ansetzt. Im Gegenteil, der Mittelbedarf für Gemeinschaftsaufgaben, seien sie humanitärer, sozialer oder kultureller Art, nimmt eher zu, wenn mit sinkender Ertragskraft der Wirtschaft das Steuersäckel des Staates Falten schlägt.
Stiftungen als tragende Säulen der Zivilgesellschaft
In dieser Situation rückt wie von selbst der Dritte Sektor ins Rampenlicht des öffentlichen Interesses, der als zivilgesellschaftlicher Raum weder dem privatwirtschaftlichen Unternehmenssektor noch dem Staat und seinen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zuzurechnen ist. In ihm werden von den Bürgern auf freiwilliger Basis Gemeinschaftsaufgaben wahrgenommen und gesellschaftliche Leistungen erbracht, denen weder ein privatwirtschaftlicher Erwerbszweck noch ein staatlicher Auftrag zugrunde liegen. Die Bedeutung dieses Leistungsbereichs ist in der Vergangenheit zuweilen stark unterschätzt worden. Mehr und mehr werden dem Bürger von Stiftungen und gemeinnützigen Einrichtungen Dienstleistungen angeboten, ohne die eine moderne Gesellschaft nicht vorstellbar, schlicht nicht funktionsfähig wäre.
Wenn man bedenkt, dass so grundlegend wichtige gesellschaftliche Aufgaben wie Erziehung und Bildung, Wissenschaftsförderung, humanitäre Leistungen, soziale Förderung, Kulturförderung, Gesundheitspflege, Natur- und Umweltschutz und vieles mehr Gegenstand der Arbeit von Stiftungen und gemeinnützigen Vereinen ist, wird deutlich, dass dieser Bereich auch in volkswirtschaftlicher Betrachtung von einigem Gewicht ist. So trägt der Dritte Sektor mit seinen zwei Millionen Beschäftigen, unabhängig von seiner gesellschaftlichen Leistungsbreite, nicht unerheblich zur wirtschaftlichen Wertschöpfung und damit zu unser aller Wohlergehen bei.
Finanzquellen des Dritten Sektors im internationalen Vergleich
Der Hinweis auf die gesellschaftspolitische Bedeutung von Stiftungen darf nicht zu der Annahme verleiten, dass der Dritte Sektor nahtlos in die Bresche springen kann, wenn Staat und Wirtschaft Schwäche zeigen, gemeinnützigen Aufgaben gerecht zu werden. Zwar verfügen wir in Deutschland über zehntausend Stiftungen, von denen aber nur die wenigsten, wie etwa die Stiftungen von Bertelsmann, VW, Quandt, Körber oder ZEIT, in der Lage sind, ihrem Stiftungsauftrag aus eigener Finanzkraft nachzukommen. Das vereinte Vermögen sämtlicher deutscher Privatstiftungen in Höhe von rund 50 Milliarden Euro nimmt sich im internationalen Vergleich eher bescheiden aus.
Die großen Privatuniversitäten in den USA, wie Harvard (19 Milliarden Dollar), Yale (10 Milliarden Dollar) oder Stanford (9 Milliarden Dollar), sind dagegen mit Stiftungsvermögen ausgestattet, die selbst manche Blue Chips der US-Wirtschaft in den Schatten stellen. Dabei ragt Harvard University als weltweit tätiger Bildungskonzern hervor, der für die Betreuung von 19.000 Studenten 17.000 Vollzeitmitarbeiter beschäftigt und 94 Bibliotheken, sechs Museen und zwei Forschungszentren außerhalb der USA unterhält.
Die unterschiedliche Kapitalausstattung gemeinnütziger Stiftungen in Deutschland und in etlichen Ländern der westlichen Welt hat historische Gründe. So ist die Entwicklung zur modernen Zivilgesellschaft, in der die Eigenverantwortung des einzelnen für sich selbst und die Gemeinschaft im Vordergrund steht, in den angelsächsischen Ländern seit jeher besonders ausgeprägt. In Deutschland herrscht demgegenüber traditionell die Auffassung vor, dass es eher Aufgabe des Staates sei, die sozialen Verhältnisse zu regeln. Das hat zur Folge, dass die Finanzierung des Dritten Sektors hierzulande bisher immer noch zu zwei Dritteln von staatlicher Förderung abhängt und nur 28 Prozent der Einnahmen aus eigenen Vermögenserträgen oder eigenwirtschaftlichen Erlösen stammen. Die verbleibenden fünf Prozent werden durch Spenden aufgebracht.
Ganz anders sieht die Finanzierungsstruktur bei unseren westlichen Nachbarn aus. Das Johns-Hopkins-Institute, Baltimore, hat die Unterschiede vor Jahren in einem Sieben-Länder-Vergleich ermittelt. Danach liegt der Anteil staatlicher Förderung im westlichen Ausland mit 40 Prozent erheblich unter dem deutschen Niveau, während der Finanzbedarf rund zur Hälfte durch Beiträge aus eigenen Mitteln gedeckt wird und Fundraising-Maßnahmen zehn Prozent und damit doppelt so viel wie in Deutschland beisteuern.
Übersehen wird oft, dass sich in diesen divergierenden Finanzstrukturen nicht zuletzt auch die dramatischen politischen Verwerfungen widerspiegeln, die Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfasst hatte. Denn zu Kaisers Zeiten vor 1914, als die kulturellen und wirtschaftlichen Reichtümer Deutschlands vom Aderlass zweier Weltkriege noch unberührt waren, gedieh auch die Stiftungslandschaft prächtig. Rund hunderttausend Stiftungen zählte Deutschland zu jenen Zeiten, von denen etliche wie die der süddeutschen Kaufmannsdynastien der Fugger oder der Thurn und Taxis bis ins Hochmittelalter zurückreichen und bis heute aktiv sind Gerade auch der Verlust der traditionell stiftungsträchtigen jüdischen Vermögen sowie die Gebietsabtretungen nach den beiden Kriegen gehören zu den Ursachen des Verfalls des Dritten Sektors, der hier in hoher Blüte stand, lange bevor ihn die zeitgenössische Soziologie mit diesem Begriff belegt hatte.
Fundraising als Profession
Von staatlicher Förderung sind Stiftungen des privaten Rechts im allgemeinen ausgenommen. Für Großstiftungen, die über jährliche Förderbudgets in zweistelliger Euro-Millionen-Höhe verfügen können, ist das kein Thema. Kleinere und mittlere Stiftungen, die nur knapp mit Vermögen ausgestattet sind, haben dagegen im Regelfall gar keine andere Wahl, als ergänzende Mittel einzuwerben, wenn sie ihren Stiftungszwecken gerecht werden wollen. Dabei folgt das Sammeln von Spenden noch immer hergebrachten Gepflogenheiten. Den Methoden des modernen Fundraising, die klassischer Bestandteil der amerikanischen Stiftungskultur sind, wird in Deutschland dagegen nach wie vor mit Zurückhaltung begegnet. Diese Sperre zu durchbrechen wird nur gelingen, wenn im öffentlichen Bewusstsein Verständnis und Bereitschaft dafür wachsen, dass der Bürger mit eigener Initiative gefordert ist, der zusehends schwächer werdenden öffentlichen Hand bei der Bewältigung anstehender Gemeinschaftsaufgaben zu helfen.
Vielleicht wird die Aufgeschlossenheit für diesen zivilgesellschaftlichen Grundauftrag mit dem Wissen darum gefördert, dass wir mit dem professionellen Fundraising über ein wirkungsvolles Mittel zur Lösung dieser Aufgaben verfügen. Dabei liegt der Effizienz des Fundraising die Anwendung von finanzwirtschaftlichen Methoden zugrunde, ohne selbst auf erwerbswirtschaftliche Zwecke, d.h. auf Gewinnerzielung gerichtet zu sein. Es handelt sich um eine Profession, die wie jede andere erlernbar ist und bei entsprechendem Geschick mit nachweisbarem Erfolg zum Einsatz gebracht werden kann. Zum Beweis dessen brauchen wir nicht über den Atlantik zu blicken, wo beispielsweise im Jahr 2001 das Fundraising-Management der Columbia University in New York dreihundert Millionen Dollar und das der staatlichen University of Michigan zweihundertfünfzig Millionen Dollar an Einnahmen erbrachte. Hierzulande sind Stiftungen wie die für den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche oder für den Betrieb der Privatuniversität Witten-Herdecke Paradebeispiele für erfolgreiches Fundraising. Die in den USA beliebten Fundraising-Dinner kommen auch in Deutschland zunehmend zum Einsatz, wie etwa die Großveranstaltung in Hamburg im April 2002, bei der Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt vor 350 Teilnehmern sprach und der Deutschen Nationalstiftung auf einen Schlag 70.000,- Euro einbrachte.
Auch wenn nicht jede Stiftung wie die Dresdner auf den Nimbus einer Frauenkirche oder wie bei der Deutschen Nationalstiftung Weimar auf einen "elder statesman" wie Helmut Schmidt zurückgreifen kann, gibt es für die erfolgreiche Einwerbung von Spenden unabhängig von der Prominenz von Stiftungsgegenstand oder Stifter einen methodischen Ansatz, der seine erfolgreiche Anwendung aus einem mehrstufigen Strategiekonzept ableitet. Dabei gilt es, einige wichtige Strategieschritte zu unterscheiden.
Zunächst geht es darum, den eigenen Stiftungszweck in der Öffentlichkeit soweit zu profilieren, dass er sich deutlich und wiedererkennbar von der Fülle konkurrierender Stiftungsvorhaben unterscheidet. Auch interessiert den potentiellen Spender der Geldmangel der werbenden Stiftung wenig. Der Förderer reagiert dagegen aufgeschlossen, wenn er die Stiftungsaufgabe auf eine Weise vermittelt bekommt, die bei ihm Begeisterung zum Mitmachen auslöst.
Schon die Bänkelsänger des Mittelalters wussten um die Fehlbarkeit ihres Bemühens: "Wer erhört werden will, darf nicht vor dem falschen Fenster singen." Daher geht es im zweiten Schritt darum, den zur Stiftungsaufgabe passenden Pool von Förderern zu erschließen. "Fundraising is about addresses", wie die Amerikaner sagen und damit eines der Geheimnisse erfolgreicher Spendenwerbung, die einer systematischen Zielgruppenanalyse bedarf, auf den Punkt bringen.
Der dritte Schritt besteht in einer Einnahmenplanung nach dem Multi-Quellen-Prinzip. Denn viele kleine Flüsse münden in den großen Strom. Der Kreativität im Aufspüren immer wieder neuer Quellen sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Erfahrungsgemäß ist es von Vorteil, wenn es gelingt, sich der Mitwirkung eines langjährigen Hauptsponsors zu versichern, der sich der Sache aus eigener Verbundenheit zum Stiftungszweck verpflichtet fühlt. Das schafft nicht nur das unerlässliche Maß an Planungssicherheit und durch umsichtige Partnerwahl Vertrauen in die eigene Kompetenz, es erleichtert auch das Hinzugewinnen weiterer Förderer im Sinne eines "burden sharing". Denn es sollte der Fehler vermieden werden, mit überzogener Anspruchshaltung die Bereitwilligkeit der Partner zum Mittun zu überfordern.
Nicht unwichtig für den Erfolg ist schließlich, dass es bei einem weiter gefassten Verständnis von Fundraising nicht notwendigerweise ausschließlich um Geld geht. Das Einwerben von Zeitspenden und vor allem auch von Sachspenden, zumal wenn diese in der Bereitstellung infrastruktureller Hilfen bestehen, kann sich gegenüber der reinen Geldspende als gleichermaßen zweckdienlich erweisen.
Beim nächsten Schritt geht es um die Solidarisierung des Förderer-Pools durch Koidentifikation mit dem Stiftungszweck. Hier kommt die Rolle der Fördervereine ins Spiel, deren Entwicklung und Pflege zu den Geheimnissen der Existenzsicherung mittlerer Stiftungen gehört. Ein gut geführter Förderverein sichert dem Förderer Teilhabe am Stiftungsgeschehen und verschafft der Stiftung ideelle Unterstützung und materielle Hilfe "im Doppelpack".
Der letzte Punkt des Strategiekonzepts betrifft einige Kriterien des Fundraising, von deren Erfüllung der finanzielle Erfolg wesentlich mit abhängt. Es sind dies ein gutes Timing von Kampagnen und Aktionen, eine richtige Dosierung bei der Einforderung von finanzieller Hilfe und schließlich das notwendige Kommunikationsgeschick im Umgang mit den Förderern. Auch hier gilt es, einen Erfahrungssatz aus der amerikanischen Fundraising-Praxis zu beachtet, der da lautet: "People give to people, not to institutions."
Stiften tut Not - Steuerrechtsreform als Impulsgeber
Wenn dem Bürger ein besseres Verständnis für die Anliegen gemeinnütziger Stiftungen abverlangt wird, zumal sein Beitrag zu einem wirkungsvoll arbeitenden Dritten Sektor in seinem ureigenen Interesse liegt, gilt dies nicht minder für den Staat. So sehr die bisher eingeschlagenen Schritte eines stiftungsfreundlicheren Steuerrechts zu begrüßen sind, ist der große Durchbruch auch mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen vom 14. Juli 2000 nicht erreicht worden. Nach wie vor steht in unserer auf das 19. Jahrhundert zurückgehenden Steuergesetzgebung jener Paradigmenwechsel aus, der an die Stelle des obrigkeitsstaatlichen Regulierungsanspruchs gegenüber dem Staatsbürger die Eigenverantwortung des Zivilbürgers setzt, dessen Motivation zu selbständiger Initiative es durch einen neuen Ordnungsrahmen kräftig zu fördern gilt.
Die Erfahrungen aus zeitgemäßer Gestaltung des Steuersystems, wie sie z.B. in den USA gewonnen wurden, sollten dabei genutzt werden. Sie liegen in bezug auf die zugrundeliegende Steuerphilosophie in genau entgegengesetzter Richtung zu dem, was unverändert in Deutschland praktiziert wird. Nicht hohe Steuersätze und niedriger Sonderabgabenabzug für Zuwendungen an Stiftungen sichern dem Staat hohe Einnahmen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Anreiz zur Eigenleistung steigt, wenn der Bürger von Belastungen befreit wird. D.h., wenn die Steuersätze gesenkt und die Sonderabgabenabzüge weiter erhöht werden. Erst dann führen die höheren Leistungsbeiträge zum Sozialprodukt sowie das belebte Gründungsgeschehen im Bereich der Stiftungen zu den erwünschten gesellschaftlichen Wirkungen: Zu neuen Impulsen für das kulturelle Leben, zu besseren Bedingungen für unser Bildungswesen, zu mehr Wachstum und Beschäftigung und nicht zuletzt auch zu höheren Steuereinnahmen des Staates.
© B-I-K Consulting |
März 2003 |