Die Informationsgesellschaft und der Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt
Öffentlicher Vortrag von Dr. Wolfgang Müller-Michaelis
Universität Lüneburg 13. Juni 1996

Es macht sich immer gut, einen Vortrag mit einer Frage zu beginnen. Also beginne ich mit der hochpolitischen Frage: Ist Studieren eigentlich Arbeit?

Wenn es keine Arbeit ist: Warum ist es dann mit ebensolchen Begleiterscheinungen verbunden, wie sie bei vergleichbaren beruflichen Tätigkeiten auftreten, etwa: Kräfteverschleiß, nervliche Anspannung, Konzentrationserfordernis, Streß, Ermüdung?

Wenn es demgegenüber Arbeit ist: Warum wird das Studieren dann nicht ebenso entlohnt, wie jene vergleichbaren beruflichen Tätigkeiten, die mit den genannten kräfteverzehrenden Begleiterscheinungen in identischer Weise verbunden sind?

Gesetzt, Studieren sei Arbeit - wofür einiges spricht, wie wir gesehen haben - wie soll man in Verbindung damit die Auffassung jener einschätzen, die aus dem Umstand, daß die Arbeit "Studieren" nicht wie vergleichbare Arbeit entlohnt wird, den Schluß ziehen: Dann müsse das Studieren, statt entlohnt zu werden, eben mit einer zusätzlichen Gebühr belegt werden?

Die logische Ableitung ist offenbar: Was nicht entlohnt wird, kann auch keine Arbeit sein; was aber keine Arbeit ist, ist das Gegenteil von Arbeit - nämlich ein Vergnügen. Und Vergnügen gehören nun einmal mit einer Art Vergnügungssteuer belegt.

Die Absurdität dieser hier dargestellten Überlegung macht nicht nur die Fragwürdigkeit der in der aktuellen bildungspolitischen Diskussion erhobenen Forderung nach Einführung von Studiengebühren ohne Berücksichtigung der dafür erforderlichen sozialen Ausstattung der Studenten deutlich.

Wichtig für das Verständnis der dem Paradigmenwechsel zugrundeliegenden Wirkungszusammenhänge ist, daß diese am Beispiel der Studenten angestellte Überlegung auch auf eine ganze Reihe weiterer Gruppen unserer Gesellschaft zutrifft, die für das Erbringen ihrer Leistungen bisher nicht entlohnt werden.

Ich nenne als weiteres Beispiel die sog. nicht-berufstätige Hausfrau, die ein Kleinunternehmen, genannt "Privathaushalt" zu managen hat, mit einem dem Wirtschaftsmanager durchaus vergleichbaren Zeit- und Kräfteaufwand - allerdings mit dem feinen Unterschied, daß der Wirtschaftsmanager für seine Leistung entlohnt wird, die Haushaltsmanagerin dagegen nicht.

Um die Vergleichbarkeit beider Leistungsprozesse gerade im Hinblick auf die Informationsgesellschaft noch transparenter zu machen, sei darauf hingewiesen, daß auch die wertschöpfende Tätigkeit der Hausfrau überwiegend kommunikativer Natur ist, wenn man an das Aufziehen der Kinder und an ihre dispositiven Aufgaben denkt, mit denen sie - wieder dem Unternehmen vergleichbar - einen modernen Gerätepark, der einen Großteil physischer Arbeit übernommen hat, im Einsatz zu lenken und zu überwachen hat. Ihr Tätigkeitsprofil ist auf diese Weise überwiegend von Leistungen konzeptioneller, organisatorischer, koordinierender, moderierender - kurzum: kommunikativer - Natur geprägt.

Eine Einbeziehung der Hausfrauenarbeit und ähnlicher unbezahlter Tätigkeiten in die Analyse des realen Arbeitsgeschehens kommt zum Ergebnis, daß den in Deutschland pro Jahr insgesamt erbrachten 47 Mrd. Std. bezahlter Arbeit 77 Mrd. Std. unbezahlter Arbeit gegenüberstehen (in dieser Zahl sind die Stunden, die die Studenten für das Studieren aufwenden, nicht erfaßt).

Der in dieser Gegenüberstellung zum Ausdruck kommende Tatbestand einer strukturellen sozialen Ungerechtigkeit wird noch dadurch verstärkt, daß das geringere Volumen an bezahlter Arbeit überwiegend von Männern und das gößere Volumen an unbezahlter Arbeit überwiegend von Frauen erbracht wird.

Die Evidenz, daß unter dem Dach ein und desselben Privathaushalts nicht nur am Tele-Arbeitsterminal des formal berufstätigen Haushaltsvorstandes sondern auch am Homecomputer und unter Einsatz ihres haushaltswirtschaftlichen Geräteparks von der formal nicht-berufstätigen Hausfrau "gearbeitet" wird, kommt uns erst durch das örtliche Zusammentreffen dieser beiden von der Natur der Sache her gleichartigen Vorgänge zum Bewußtsein.

Der Produktionsfaktor Kommunikation (Faktor "K"), der in der aufkommenden Informationsgesellschaft mehr und mehr im Begriff ist, den wirtschaftlichen Wertschöpfungsprozeß zu tragen, entfaltet seine segensreichen Wirkungen nicht nur mit Hilfe der kommunikationstechnologischen Ausstattung des Unternehmens, sondern eben auch durch die zunehmende multimediale Ausstattung des Privathaushalts.

Zu diesen multimedialen Neuerungen gehört auch das programmgesteuerte Einkaufen "per Bildschirm", das Tele-Shopping, das sich zu den anderen Formen kommunikativer Bewältigung alltäglicher Aufgaben gesellt, wie Tele-Arbeit, Tele-Bildung, Tele-Banking, um die spektakulärsten Beispiele dieser multimedialen Leistungen zu nennen, die um immer wieder neue Entwicklungen ergänzt werden.

Da zu den Wesensmerkmalen dieser multimedialen Leistungen ihre Interaktivität gehört, d.h. daß die Leistungen nicht nur wie bei den herkömmlichen Medien passiv empfangen, sondern sie aktiv und instrumental für die Zwecke des Anwenders und Nutzers eingesetzt werden können, geht mit der kommunikationstechnologischen Ausstattung zugleich eine Erweiterung des Leistungsangebots des Privathaushalts einher. Es umfaßt neben der traditionellen Eigenleistung für haushaltswirtschaftliche Selbstnutzung, die nach entsprechender Reform durch Einführung eines Hausfrauengehalts abgegolten werden soll, zukünftig auch die Erledigung kommunikativer Aufträge von Dritten im Wege der Tele-Arbeit, an der sich potentiell sämtliche dem Haushalt zugehörigen geschäftsfähigen Personen, vorzugsweise vermutlich im Wege der Teilzeitbeschäftigung, beteiligen können.

Alles in allem trägt so der Faktor "K" dazu bei, daß die Entlohnung der im Privathaushalt geleisteten Arbeit auf die Tagesordnung der Wirtschafts- und Sozialpolitik kommt. Es kommt nicht von ungefähr, daß in den sozialpolitischen Ausschüssen der politischen Parteien zu diesem Thema seit geraumer Zeit alternative Modelle diskutiert werden.

Dazu gehört die Einrichtung sogenannter Sozialagenturen, die auf steuerlich begünstigtem Wege Teilzeitarbeit im Privathaushalt vermitteln sollen. Eine interessante Variante stellt die Einführung von "Dienstleistungsschecks" nach französischem Vorbild dar. Sie werden an jedermann zugänglichen öffentlichen Stellen ausgegeben, gelten zugleich als Arbeitsvertrag und schließen eine automatische zentrale Abrechnung der gesamten Zahlungsströme einschließlich der Ermittlung anfallender Sozialabgaben und Rentenbeiträge ein, wobei der den Scheck zeichnende Haushaltsvorstand den Vorteil steuerlicher Absetzbarkeit erhält. Dieses System hätte den doppelten Charme, daß der mehrere Dienstleistungsschecks aus verschiedenen Teilzeitarbeitsverhältnissen beziehende Arbeitnehmer praktisch den Zustand der Vollerwerbstätigkeit erreichen könnte und daß die bisher "leer ausgehende" Hausfrau, indem sie den Scheck für ihre eigene Arbeit in Anspruch nimmt,ebenfalls in den Genuß einer gerechten Entlohnung ihrer Leistung käme.

Die Ausstattung der privaten Haushalte mit moderner Kommunikations-technologie wird neben der Wirtschaft ein gigantisches Netzwerk potentieller Anbieter kommunikativer Dienstleistungen entstehen lassen. Findige Unternehmer werden auf den Plan treten, dieses Netzwerk mit Aufträgen zu versehen und es auf diese Weise in den volkswirtschaftlichen Kreislauf zu integrieren; was konkret heißt: Nach Millionen zählende bequeme und attraktive Teilzeitarbeitsplätze für Menschen, die genau an solcher Art Arbeitseinsatz interessiert sind. Hier kommt auf die Gewerkschaften eine große Herausforderung zu, in solchen Fällen für neue beschäftigungspolitische Ideen offen zu sein, wo es den Betroffenen nicht in erster Linie um eine bestimmte Höhe der tariflichen Einkommen sondern um sinnvolle Beschäftigung unter attraktiven Bedingungen geht, wozu auch selbst zu bestimmende Arbeitszeiten und der Komfort des häuslichen Tele-Arbeitsplatzes zählen.

Da dieses Netzwerk hierzulande erst noch im Aufbau begriffen ist, weichen viele Firmen mit ihren Aufträgen in entfernte Weltregionen aus. So lassen eine ganze Reihe von deutschen Großunternehmen z.B. ihre gesamte Datenverarbeitung auf den Philippinen oder in anderen südostasiatischen Ländern abwickeln. Die Lufthansa läßt die DV-technischen Abrechnungen von "Miles & More", mit Flugschein-Buchungen und Kreditkarten-Management in Indien durchführen.

So wie am Beispiel des Privathaushalts demonstriert, haben die neuen Kommunikationstechnologien die Fähigkeit (ihre sog. Explorations- und Transformationsfunktion), bisher eher wirtschaftsfremde Lebensbereiche wie Bildung, Kultur, Reisen, Sport und Unterhaltung für Zwecke der Einkommenserzielung und Arbeitsplatzschaffung in großem Maßstab zu erschließen. Es sind dies Bereiche, in denen nicht, wie in der industriellen Wirtschaft, "dunkle Materie" in handfeste Güter, sondern "heller Geist" in dienstbare Leistungen umgewandelt wird, weshalb ich diese neue Wirtschaftslandschaft die "Weiße Wirtschaft" nenne.

Die Nutzbarmachung der neuen Kommunikationstechnologien für wirtschaftliche Prozesse in diesen Bereichen, verbunden mit der Schaffung von Einkommen und Beschäftigung bei uns in Deutschland, setzt neue und flexible Formen der Gestaltung von Arbeits- und Tarifverträgen voraus. In unserer gegenwärtig noch als Industriewirtschaft bezeichneten Wirtschaftsgesellschaft mit ihren zu Immobilismus erstarrten Bürokratien und ihren zementierten Regelwerken registrieren wir vier bis sechs Millionen direkt bzw. indirekt Arbeitslose. Zugleich konstatieren wir eine verbreitete Unsicherheit, den Ursachen dieses sozialen übels auf die Spur zu kommen und von daher die notwendigen Lösungen zu entwickeln.

Meine Vermutung ist, daß dies an einer Wahrnehmungsschwäche unserer politischen Elite im Hinblick auf jenen umfassenden Paradigmenwechsel liegt, der die systembildenden Wertewelten der postindustriellen Gesellschaft seit geraumer Zeit erfaßt hat.

Das volkswirtschaftliche Modell, das der klassischen Diagnose von Ralf Dahrendorf zugrunde lag, nach der der modernen Arbeitswelt die Arbeit auszugehen drohe, war noch ganz dem gewerblich-industriell bestimmten Wertschöpfungsprozeß verhaftet. Hier waren seit den Physiokraten und seit Karl Marx die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden am Werk. Der volkswirtschaftliche Produktionsprozeß war als kombinierter Einsatz dieser Faktoren definiert. Produktiv im Sinne dieses physiokratischen Wirtschaftsverständnisses waren nur Leistungen, bei denen durch Einsatz von Arbeitskraft und Maschinen sowie durch Vernichtung natürlicher Ressourcen Güter zum Ge- oder Verbrauch erzeugt wurden. Geistige bzw. kommunikative Leistungen waren systembedingt ausgeblendet. Sie waren einer anderen Wertewelt, der des Kulturellen zugeordnet, die nicht als wirtschaftliche Kategorie galt. Die Tätigkeit eines Beamten, eines Professors, eines Schauspielers, eines Schriftstellers, eines Musikers produktiv zu nennen? Undenkbar! Ihre Leistungsbeiträge zum Sozialprodukt waren im Raster der Produktionsfaktorentheorie der klassischen Nationalökonomie nicht vorgesehen.

An diesem Punkt wird klar, daß sich die Dinge im Raum stoßen müssen, wenn wir mit dem Theoriewerkzeug der Physiokraten aus der beginnenden Industrie-Epoche die völlig anders gearteten Verhältnisse der nach-industriellen Informationsgesellschaft zu analysieren versuchen; wo die Verarbeitung von Daten, Wissen und Konzepten zu immateriellen Dienstleistungen den wirtschaftlichen Wertschöpfungsprozeß zunehmend bestimmt. So wenig sinnvoll es ist, mit Steinzeitwerkzeugen Organtransplantationen vornehmen zu wollen, so unmöglich ist es, mit den aus den Erfahrungen der Industriewirtschaft überkommenen theoretischen Erkenntnissen und politischen Instrumenten die Probleme des aufkommenden Informationszeitalters angehen zu wollen. Wenn man es dennoch versucht, kommen 4 bis 6 Millionen Arbeitslose dabei heraus.

Was ist zu tun? Zunächst müssen wir uns zu der Einsicht durchringen, daß die Produktionsfaktoren, die den Wertschöpfungsprozeß in der Informationsgesellschaft bestimmen, andere sind als diejenigen, die das Sozialprodukt der vorwiegend gewerblich-industriellen Volkswirtschaft hervorbrachten. Das bedeutet z.B. zu erkennen, daß wir nicht mehr dasselbe tun, was unsere Vorfahren taten, wenn wir wirtschaftlich tätig sind; daß wir den Begriffsapparat, den sie uns aus ihren Erfahrungen abgeleitet weitergereicht haben, daraufhin überprüfen müssen, ob er noch dieselben Inhalte transportiert wie zu Zeiten seiner Entstehung. Wenn wir diese Untersuchung sorgfältig genug durchführen, kommen wir zu dem Ergebnis, daß wir heute nicht mehr "arbeiten" in dem Sinne, wie dieser Begriff von unseren Vorfahren verstanden und gelebt wurde - als physischer Kräfteeinsatz, den zu erbringen überwindung kostete, zumal er mit einer Fülle begleitender Mühsalen verbunden war. In unserer heutigen Volkswirtschaft gibt es nur noch eine verschwindend geringe Anzahl von Tätigkeiten, die in diesem althergebrachten Sinne Arbeit sind. Das gilt selbst für den gewerblich-industriellen Sektor, bei dem uns nur eine längst überholte Methodik der statistischen Erfassung vorgaukelt, hier würde überwiegend Industriearbeit stattfinden. Bei genauem Hinsehen stellen wir fest, daß auch rund zwei Drittel der Industriebeschäftigten dienstleistende Tätigkeiten ausüben. Und bei noch schärferer Einstellung der Analyse-Lupe kommt ans Licht, daß selbst die gewerblich Beschäftigten beim heutigen Stand der Produktionstechnik zu einem Großteil eher komplementäre Handgriffe erbringen und ihre Tätigkeit überwiegend in Checkups, Kontrollen und überprüfungen, also kommunikativen Leistungen besteht.

Bei diesem Befund dürfte es nicht verwundern, daß unser Arbeitsalltag heute - wenn wir die regenerativen Tätigkeiten außen vorlassen - zu etwa 80 % von kommunikativen Tätigkeiten der jeweils berufsspezifischen Art bestimmt wird. Dies gilt im übrigen in ähnlicher Weise auch für das Zeitprotokoll unseres Freizeitverhaltens, was für die Nachfrage nach kommunikativen Leistungen in der Informationsgesellschaft von systemtragender Bedeutung ist. Wenn dies so ist, dürfte eigentlich nichts dagegen sprechen, den die überkommene Industriewirtschaft tragenden Produktionsfaktor Arbeit in den die Informationsgesellschaft prägenden Produktionsfaktor Kommunikation (Faktor "K") umzuwidmen. Zumal auch Produktionsapparat und Arbeitsmittel quer durch alle Wirtschaftszweige und Berufssparten in rasantem Tempo komplementär hierzu von den neuen Kommunikationstechnologien durchsetzt werden. Den Produktionsfaktor Arbeit durch den Faktor "K" zu ersetzen, erschöpft sich indessen nicht in diesem begrifflichen Etikettenwechsel. Orientieren sich die Faktorbeiträge zum Leistungsprodukt nicht mehr an dem (in Zeitdimension gemessenen) Arbeitseinsatz sondern an der eingebrachten kommunikativen Leistung, erfährt die gesamte volkswirtschaftliche Einkommensbildung eine grundlegende Neubewertung. Der übergang zur Entlohnung von kommunikativen Leistungen anstelle der Bezahlung von herkömmlicher Arbeit eröffnet ganz neue Ansätze zur Lösung der uns heute bedrängenden sozialen Probleme.

Die von mir bereits genannten traditionell wirtschaftsfernen Bereiche wie Bildung, Kultur, Reisen, Sport und Unterhaltung, die aufgrund ihrer ausgeprägten Kommunikativität zu den Wachstumsträgern der Informationsgesellschaft gehören dürften, werden sich als systemimmanente Beschäftigungspotentiale großer Dimension erweisen, die das aus den Nachwehen der gewerblich-industriellen Volkswirtschaft überlieferte Arbeitslosenproblem praktisch obsolet werden lassen dürften. Denn der den Wertschöpfungsprozeß zukünftig bestimmende Produktionsfaktor Kommunikation wird die arbeitsplatzvernichtende Wirkung steigender Kapitalintensität - die ja zur Achillesferse der industriellen Volkswirtschaft wurde - dadurch aufheben, daß er mit zunehmender Ausbreitung und Anwendungsvielfalt der neuen Kommunikationstechnologien eben nicht auf Substitution der Arbeit sondern auf komplementäre Entfaltung ihrer Einsatzmöglichkeiten gerichtet ist. Ein wesentlicher Grund für das gängige Fehlurteil über die sozialen Folgen der neuen Medien dürfte darin liegen, daß man diese Frage unzulässigerweise auf ihren Einsatz in traditionellen Berufen und Prozeßabläufen beschränkt. Dabei wird übersehen, daß die Interaktivität der neuen Informationstechnologien kommunikative Leistungen völlig neuer Art hervorbringen wird, die es vor der multimedialen Revolution gar nicht geben konnte.

Der Faktor "K" erschließt auf diese Weise Einkommen und Beschäftigung in Bereichen, wo dies ohne den Einsatz der neuen Technologien früher unvorstellbar gewesen wäre. Auch verwandelt er, wie wir gesehen haben, private Haushalte in Wirtschaftsunternehmen und setzt sie damit wieder in jene wertschöpfende Rolle ein, die sie im Wirtschaftsleben des vor-industriellen Zeitalters schon einmal innehatten. Der Faktor "K" holt schließlich die Schattenwirtschaft ans Licht und überführt - nach einem Wort von Meinhard Miegel - die "in den Katakomben der Volkswirtschaft" illegal erbrachten Leistungen in das abgerechnete Volkseinkommen. In summa verschaffen Interaktivität, globale Vernetzung und Ubiquität seiner Verbreitung dem Faktor "K" unter Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien die Funktion eines Universalmediums zur Lösung vieler unserer gravierenden sozialen Probleme, insbesondere der Arbeitslosigkeit. Dieser Transformationsprozeß erfordert, wie wir am Beispiel der Bezahlung der Hausfrauenarbeit gesehen haben, ergänzende Reformen der Steuer- und Sozialgesetzgebung, die politisch durchsetzbar sein sollten, da sie keine zusätzlichen Lasten für Staatshaushalt und Sozialbudget mit sich bringen sondern Umschichtungen in den bestehenden Budgets voraussetzen.

Ein weiteres Beispiel betrifft die angesichts der grundlegend veränderten Arbeitsbedingungen in der Informationsgesellschaft überfällige Reform der Arbeitslosenversicherung. Sie verdankt ihre Einführung den Friktionen, die sich aus den unumgänglichen strukturellen Umbrüchen der Industriewirtschaft ergaben. Sie ist aber in ihrer karitativen Nothilfefunktion unter den anders gearteten Umfeldbedingungen einer Informationsgesellschaft nicht mehr zeitgemäß. Der Arbeitnehmer, der in der Informationsgesellschaft seinen bisherigen Job aufgeben muß, benötigt eine zur überbrückung auf die nächste Tätigkeit kontinuierlich weiterlaufende Einkommenssicherung aus einer Beruflichen Weiterbildungsversicherung, mit der zugleich seine kommunikative Leistung entlohnt wird, aktiv dazu beizutragen, wieder in eine Anschlußtätigkeit zu gelangen. Es ist also das genaue Gegenteil der heutigen Regelung, die aus Gedankenlosigkeit nicht einer gewissen Inhumanität entbehrt:

So gliedert die innovative Kraft des Faktor "K" nicht nur die heute sogenannten Arbeitslosen in den gesellschaftlichen Leistungsprozeß wieder ein, sondern er überführt auch in anderen traditionell wirtschaftsfernen Bereichen bisher weitgehend unentgeltlich erledigte "real existierende Beschäftigung" in gesamtwirtschaftlich entlohnte Wertschöpfungsbeiträge, d.h. in kommunikative mit kaufkräftiger Nachfrage ausgestattete Arbeitsplätze, die auf Dauer ein stabiles und im übrigen ressourcenvernichtungsarmes Wirtschaftswachstum hervorbringen werden.

Ich höre jetzt die Frage: Schön und gut, es gibt viel "real existierende Beschäftigung" und damit viele potentielle Arbeitsplätze in den bestehenden und neu sich entwickelnden Bereichen des Dienstleistungs sektors, woher aber kommt die kaufkräftige Nachfrage, diese Dienstleistungen zu bezahlen und damit die hinter diesen Dienstleistungen stehenden Arbeitsplätze zu finanzieren?

Dienstleistungen - so die hinter dieser Frage stehende Vorstellung - sind doch abhängig von den "eigentlichen" produktiven Bereichen der Indu¬ strie; ohne sie keine Arbeitsplätze und ohne diese keine kaufkräftige Nachfrage, um die neuen Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können.

Dieser Betrachtungsweise liegt ein materielles Verständnis von wirtschaftlicher Leistung zugrunde, bei der die Wertschöpfung an den physischen Werteverzehr gekoppelt ist und der Leistungsprozeß nur als Vorgang mit "Zischen, Qualm und Hammerschlag" und entsprechenden Emissionen in die Umwelt gedacht werden kann. Nur Leistungen, die diese Merkmale für sich in Anspruch nehmen können, schaffen nach dieser Lesart "echte" Produktionswerte.

Tatsächlich unterscheidet sich aber eine Dienstleistung hinsichtlich ihrer Wertschöpfungsfunktion nicht grundsätzlich von der Güterproduktion. Es müssen - egal ob für das Erbringen von Dienst- oder Produktionsleistungen - jeweils zwei nachfrage- und angebotsbedingte Voraussetzungen erfüllt sein, um ihre nachhaltige Bedeutung für den volkswirtschaftlichen Leistungs- und Einkommensbildungsprozeß zu begründen.

Nachfrageseitig müssen sowohl ein anhaltender gesellschaftlicher Bedarf als auch die unablässige Bereitschaft einer hinreichend großen Zahl von Verbrauchern zur Entfaltung kaufkräftiger Nachfrage nach der Leistung gegeben sein. Diese beiden nachfragebestimmten Voraussetzungen treffen nicht nur auf Güter des sekundären Sektors wie Möbel, Anzüge, Kühlschränke, Autos oder Lippenstifte, sondern auch auf Leistungen des tertiären Sektors wie Lehrveranstaltungen, Fernsehsendungen, Verkauf in Warenhäusern, Bank- oder Versicherungssservice, Urlaubsreisen und Verwaltungsakte zu.

Angebotsseitig müssen sowohl funktionale und technische Bedingungen der Leistungserstellung und -darbietung zur Befriedigung eines Massenbedarfs als auch die Fähigkeit zur Schaffung von Massenarbeitsplätzen un zur Erzielung von Masseneinkommen erfüllt sein.

In dieser Hinsicht gab es in der Vergangenheit Unterschiede, aus denen sich das heute noch bestehende Vorurteil ableitet, nur industrielle Produktion schaffe Massenarbeitsplätze, während es dem Dienstleistungsunternehmen an dieser Fähigkeit mangele.

Von einer breiteren Öffentlichkeit ist aber bisher nicht hinreichend wahrgenommen worden, daß sich gerade bei der Schaffung dauerhafter Massenarbeitsplätze und damit der Erzielung von Masseneinkommen im Zuge des bereits abgelaufenen intersektoralen Sturkturwandels gravierende Verlagerungen ergeben haben. Unter den Bedingungen eines Faktor "K" gesteuerten intersektoralen Strukturwandels haben sich sowohl die Massenarbeitsplatzschaffungs- als auch die Masseneinkommensbildungs-Funktion längst vom sekundären auf den tertiären Sektor ausgeweitet und zum Teil bereits in ihn verlagert.

In der Hitliste des Massenarbeitsplatz-Angebots, der Ertragsstärke und der Masseneinkommenserzielung haben Wirtschaftsbranchen des tertiären Sektors wie Verlage, Handelsketten, Banken, Versicherungen und Tourismus-Unternehmen den "alten Industrieveteranen" wie Stahlerzeugung, Bergbau, Werften und Gießereien längst den Rang abgelaufen. Beispielhaft für diesen Strukturwandel weg von der Montanindustrie, von Kohle und Stahl und hin zur "Weißen Wirtschaft" ist insbesondere an Rhein und Ruhr die Kommunikationswirtschaft und die Kulturökonomie zu einem wichtigen Teil der wirtschaftlichen Wertschöpfung geworden.

Im tertiären Dienstleistungssektor werden heute in Deutschland bereits über 60% des Sozialprodukts erwirtschaftet - das ist keineswegs eine Spitzenposition, sondern eher Mittelfeld. In den USA und in Dänemark beispielsweise werden bereits 70% der gesamtwirtschaftlichen Leistung im tertiären Sektor erwirtschaftet.

Legt man anstelle der sektoralen Betrachtung die Abgrenzung nach Beschäftigungsfunktionen zugrunde, wird der Entwicklungstrend noch deutlicher:

Bereits heute sind in Deutschland 75% aller Erwerbstätigen - egal ob sie im produzierenden Gewerbe oder im Dienstleistungs-Sektor arbeiten - mit Dienstleistungs-Funktionen befaßt, die sich durch überwiegend kommunikative Tätigkeitsmerkmale auszeichnen. In Baden-Württemberg sind fast 90% derseit 1980 geschaffenen Arbeitsplätze im tertiären Sektor entstanden!

Das Geheimnis der arbeitsplatzschaffenden Wirkung des Faktors "K" liegt darin begründet, daß Dienstleistungen im allgemeinen und die neu explorierten Leistungsbereiche der "Weißen Wirtschaft" im besonderen den Vorzug hoher Affinität zu den Anwendungs- und Nutzungsmöglichkeiten der neuen Kommunikationstechnologien genießen.

Diese zeichnen sich darüber hinaus durch eine besondere "soziale Ader" aus, indem sie den bisher unbezahlt Arbeitenden Einkommen verschaffen. Sie machen auf diese Weise nicht nur eine strukturelle Ungerechtigkeit des traditionellen kapitalistischen Wirtschaftssystems transparent, sondern sie tragen auch kraft der ihnen inhärenten Anwendungstiefe zur Abhilfe und überwindung dieses Mißstandes bei.

Bei dieser ihm innewohnenden Reformkraft könnte man dem Faktor "K" durchaus zutrauen, zur bisher wirksamsten Waffe im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu werden!

© B-I-K Consulting

Juni 1996