Neue Medien, Ausbildung und Arbeitsmarkt

erschienen in: "Wirtschaft@Umbruch.de"
Studie des Wirtschaftsrats der CDU, Landesverband Hamburg

Wolfgang Müller-Michaelis

Da die IuK-Technologien mit ihren Anwendungs- und Nutzungsbereichen als wichtige Wachstumsmärkte der Zukunft gelten, nehmen sie eine volkswirtschaftliche Schlüsselposition ein. Es stellt sich die Frage, ob ihre Beschäftigungspotenziale groß genug sind, um einen durchschlagenden Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten zu können.

Mehrere Aspekte sind zu unterscheiden:

  1. Direkte Beschäftigungseffekte innerhalb der IuK-Wirtschaft
  2. Indirekte Beschäftigungswirkungen für die gesamte Volkswirtschaft als Folge der Durchdringung aller Leistungsprozesse mit moderner IuK-HighTech
  3. Rolle der Ausbildung zur Sicherung des Beschäftigungsbedarfs in der IuK-Wirtschaft
  4. Rolle der Online-Rekrutierung in der gewerblichen Arbeitsvermittlung.

Zu 1. Direkte Beschäftigungseffekte innerhalb der IuK-Wirtschaft

Der in den Medien als New Economy bezeichnete Teil der Volkswirtschaft durchläuft nach einer schwindelerregenden Boomphase gegenwärtig eine tiefgreifende Anpassungskrise. Will man in dieser Situation eine Einschätzung der langfristigen Beschäftigungschancen in der IuK-Wirtschaft vornehmen, sollte man nicht in den gleichen Fehler verfallen, der mit entgegengesetztem Vorzeichen in der Zeit des stürmischen Aufschwungs gemacht wurde.

Auch wenn die "Pink Slip Parties" der gekündigten Software-Junkies im Silicon Valley und die Börstenabstürze von einstmals hoch gehandelten Dot.com-Titeln am Neuen Markt die Medienberichterstattung beherrschen, sollten die zugrundeliegenden Wachstumskräfte der IuK-Wirtschaft nicht aus dem Auge verloren werden. Zwar nehmen die Insolvenzen von ehemaligen Stars der New Economy beängstigende Züge an (nach Kabel New Media und Management Data droht im Herbst 2001 sechs weiteren Hamburger Internet-Firmen wegen unzureichender Börsenkapitalisierung der Ausschluß aus dem Neuen Markt), doch werten Branchenanalysten diesen Prozeß eher gelassen als Marktbereinigung nach den vorangegangenen Übersteigerungen der Startphase. Nach diesen Schätzungen wird eine weitere Konsolidierung der Zahl der derzeit 340 am Neuen Markt gehandelten Unternehmen innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre auf etwa die Hälfte angenommen. Nach jüngsten Untersuchungen fallen schon jetzt rund vierzig deutsche Dot.com-Titel unter die neuerdings verschärften Delisting-Regeln.

Indessen sind diese Bewegungen am Neuen Markt für die weitere Einschätzung der Beschäftigungsentwicklung in der IuK-Wirtschaft von nur begrenztem Gewicht. Denn die Wertschöpfung der Neue-Markt-Firmen macht mit ihren Dienstleistungen und Spezialanwendungen nur ein bescheidenes Segment der weitergefaßten IT- und Telekommunikationsbranche aus. Das Marktsegment Internet, Online und Datendienste macht am gesamten IuK-Markt nur einen Anteil von unter 10 Prozent aus. Mit ihren jeweiligen Hardware- und Software-Produktbereichen sowie Services umfassen die beiden Teilsektoren der IuK-Wirtschaft IT-Branche und Telekommunikation insgesamt dreißig gesonderte Märkte mit einem addierten Marktvolumen in Deutschland von derzeit 254 Milliarden DM (2001). Allein in der Telekommunikation sind seit Liberalisierung des TK-Marktes 1998 trotz starken Personalabbaus beim ehemaligen Monopolanbieter Telekom insgesamt rund 40.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden. Im gesamten IuK-Markt sind von 1998 bis 2001 unter Berücksichtigung des Marktaustritts vieler Newcomer insgesamt 110.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden.

Die mittelfristigen Beschäftigungstendenzen in Deutschland schlagen sich in einem Fehlbedarf von derzeit 440.000 IT-Spezialisten nieder. Es wird geschätzt, daß diese Beschäftigungslücke eher größer als kleiner wird und bis 2003 auf 720.000 fehlende IT-Fachkräfte ansteigt.

Zu 2. Indirekte Beschäftigungswirkungen für die gesamte Volkswirtschaft als Folge der Durchdringung aller Leistungsprozesse mit moderner IuK-HighTech

Für die Einschätzung der generellen Beschäftigungswirkungen des Einsatzes der IuK-Technologien ist nicht nur der ungedeckte Facharbeiterbedarf in der IuK-Wirtschaft selbst, sondern die Situation in den Industrien der "alten" Ökonomie, in der Dienstleistungswirtschaft, im Handel, im Verkehr und in der öffentlichen Verwaltung maßgebend. Denn hier kommt es infolge zunehmender Penetrierung praktisch aller Leistungsbereiche der Volkswirtschaft mit den modernen Technologien zu zwei gegenläufigen Entwicklungen.

Zum einen ist die flächendeckende Innovation der Neuen Medien wie bei jeder technischen Fortschrittswelle (Kondratieff-Zyklen) üblich, mit erheblichen Rationalisierungseffekten und damit Freisetzung menschlicher Arbeit in großem Maßstab verbunden. Dieses in der Literatur als "jobless growth" bezeichnete Phänomen, das wegen der Exponierung Hamburgs als Medienstandort gerade auch die hiesige Beschäftigungslage im Bereich der Neuen Medien kennzeichnet, zeigt aber nur die negative Seite der Beschäftigungswirkung auf.

Mindestens ebenso wichtig ist der Aufbau IuK-induzierter Wertschöpfungsketten mit immer wieder neuen Anwendungs- und Nutzungsformen, die ohne die digitale Revolution gar nicht möglich gewesen wären. Diesem weitergefassten Prozeß einer zunehmenden Durchdringung der herkömmlichen Wirtschaftssektoren mit moderner IuK-Technologie liegen zwölf Trends zugrunde, die zugleich den Übergang von der Industrie- in die Wissensgesellschaft markieren und im folgenden Schaubild zusammengefaßt sind.

Diese Trends beschreiben, daß mit dem Einsatz der IuK-Technologien die Parameter von Wirtschaft, Technik und Arbeit grundlegenden Wandlungen unterworfen sind, gerade auch im Hinblick auf die Beschäftigungsfrage. Indem die Neuen Medien die Tertiarisierung der Wirtschaftsleistung vorantreiben (70 % unseres Sozialprodukts werden inzwischen außerhalb der Industrie, überwiegend mit Hightech-basierten Dienstleistungen erwirtschaftet; dasselbe gilt für die Beschäftigungsstruktur), werden unentwegt neue Berufsbilder mit vorher nicht bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen. Auch führt die Anwendungs- und Nutzungsvielfalt der IuK-Technologien dazu, daß traditionell wirtschaftsferne Lebensbereiche in den volkswirtschaftlichen Wertschöpfungsprozeß einbezogen werden. Damit öffnen sich auch neue Wachstumsspielräume und zugleich Beschäftigungspotenziale jenseits der Grenzen von Rohstoffverfügbarkeit und ökologischer Belastung.

Daß sich diese positiven Beschäftigungswirkungen noch nicht im gewünschten Ausmaß am Arbeitsmarkt niedergeschlagen haben, liegt einerseits an den Zeit kostendenden Anpassungsprozessen und andererseits an den falschen Signalen der offiziellen Arbeitslosenstatistik, die eher ein Zeichen politischer Fehldisposition sind als einen ökonomischen Tatbestand zu beschreiben. Denn in ökonomischer Betrachtung haben wir in Deutschland weniger einen Mangel an Arbeit als vielmehr einen Mangel an ausgebildeten Facharbeitern, die den Anforderungen der digitalen Wirtschaft genügen.

Zu 3. Rolle der Ausbildung zur Sicherung des Beschäftigungsbedarfs in der IuK-Wirtschaft

Wenn der entscheidende Engpaßfaktor auf dem Weg zu annähernder Vollbeschäftigung weniger fehlende Arbeitsplätze sind sondern eher in mangelnder Ausbildung (in Verbindung mit den Verkrustungen einer zu großen Teilen überholten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik) besteht, muß auf der Agenda der politischen Reformen eine Neugestaltung der Ausbildungssysteme höchste Priorität haben.

Dies gilt für alle drei Pfeiler unseres Bildungssystems: Schule, Universität und Berufliche Bildung. Denn teilt man angesichts dieser Zielsetzung die aktuell 440.000 offenen Stellen in der IuK-Wirtschaft nach Qualifikationsgruppen auf, wird unterstrichen, daß Reparaturen nur in Teilbereichen des Bildungssystems keine durchgreifende Lösung des Problems bringen. Die 440.000 offenen Stellen im IuK-Sektor teilen sich zu etwa je einem Drittel auf in

Wie diese Bedarfsanalyse auf der einen Seite mit dem Irrtum aufräumt, daß die Wissensgesellschaft keine Beschäftigung für geringer qualifizierte Arbeitskräfte bereithalte, so macht sie auf der anderen Seite deutlich, daß auf die anspruchsvollen Beschäftigungsprofile der digitalen Wirtschaft zugeschnittenen Ausbildungsgänge das eigentliche Gebot der Stunde sind.

Auf die Bewältigung dieser Aufgabe muß das gesamte Bildungssystem von der Schule über die Universität bis zur Beruflichen Bildung ausgerichtet werden. Als Folge des zunehmenden Tempos des technischen Fortschritts wird zudem das bisher geltende Dogma der berufsvorbereitenden Ausbildung dem Prinzip der berufsbegleitenden Weiterbildung im Sinne des "Lebenslangen Lernens" weichen müssen. Daraus folgt, daß eine Verkürzung der Schul-, Studien- und Lehrzeiten vor Eintritt in das Berufsleben ebenso geboten ist wie der Auf- und Ausbau einer Weiterbildungsinfrastruktur, um die zukünftig erforderliche "Verwebung" von Beschäftigung und Weiterbildung bewältigen zu können.

Mit der Notwendigkeit, die berufliche Weiterbildung zukünftig als integralen Bestandteil beruflicher Tätigkeit zu sehen, ist ihr Verständnis als eines modernen Dienstleistungssektors in der Wissensgesellschaft verbunden. Angesichts seiner absehbaren volkswirtschaftlichen Bedeutung wird der im Aufbau begriffene Wirtschaftssektor "Berufliche Weiterbildung" auch selbst zu einem Impulsgeber für Mehrbeschäftigung in Form des flächendeckend benötigten Ausbildungspersonals, das es in dieser Ausprägung vor der digitalen Revolution ebenfalls nicht gab.

Schließlich sind Rückwirkungen dieser Entwicklung auf eine Teilprivatisierung der universitären Bildung für die auf die IuK-Wirtschaft zielenden Fachdisziplinen unumgänglich, wie dies bereits heute in modellhaften Ansätzen etwa beim Northern Institute of Technology NIT, Hamburg, oder bei der ISNM International School of New Media, Lübeck, sowie an vielen anderen Hochschulstandorten in Deutschland erkennbar ist.

Zu 4. Rolle der Online-Rekrutierung in der gewerblichen Arbeitsvermittlung

Mit den Personaldienstleistungen, insbesondere mit der gewerblichen Arbeitsvermittlung, haben die modernen IuK-Technologien schon seit geraumer Zeit auch jenen Bereich durchdrungen, der mit der Lösung der Beschäftigungsfrage am unmittelbarsten befaßt ist. Dem weiteren Wachstum dieser Branche, die mit Internet-Jobbörsen, Online-Rekrutierung, E-Job Placement und Karriereportalen selbst ein Paradebeispiel für die Anwendungs- und Nutzungsvielfalt der Neuen Medien ist, liegen zwei Entwicklungstendenzen zugrunde:

Einfach auf den Knopf zu drücken und den passenden Bewerber für die neu zu besetzende Position im Unternehmen im Handumdrehen vor sich auf dem Bildschirm zu haben, diese Vision wird auf absehbare Zeit aber dennoch keine Realität werden. Denn die wichtige Rolle des persönlichen Beratungsgesprächs sowohl mit dem stellenanbietenden Unternehmen als auch mit dem jobsuchenden Bewerber ist auch durch die neuen technischen Möglichkeiten des E-Recruitment nicht zu ersetzen.

Der noch relativ junge Markt für Online-Rekrutierung im engeren Sinne bringt es im Jahr 2001 europaweit auf einen noch bescheidenen Gesamtumsatz von 859 Millionen €. Die mittelfristigen Wachstumserwartungen sind nach Forrester Research als positiv einzuschätzen, so daß bis zum Jahr 2005 ein Marktvolumen von über 4 Milliarden € erreichbar erscheint.

Die im neuen Markt der Online-Rekrutierung im Aufbau befindlichen Dienstleistungsketten vom Rekrutierungs-Assessment über Gehaltsvergleiche, Weiterbildungs-Datenbanken und Mitarbeiterbeurteilungsverfahren bis hin zur Lohn- und Gehaltsabrechnung per Internet werden demgegenüber zu einer Ausweitung des Leistungsspektrums der traditionellen Personaldienstleistungsbranche führen. Ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung wird auf diese Weise durch Rezeption der neuen technischen Möglichkeiten eher gestärkt werden. Wegen der absehbar zunehmenden Intensität personeller Fluktuation in der modernen Volkswirtschaft werden die Personaldienstleistungen gerade auch mit erfolgreichem Abbau des Arbeitslosenproblems ihre Mittlerrolle am Arbeitsmarkt behaupten.

erschienen in: "Wirtschaft@Umbruch.de"
Studie des Wirtschaftsrats der CDU, Landesverband Hamburg
Oktober 2001