"Der Weg zur Knechtschaft" –
im 20. Jahrhundert mit Appellen an die niederen Instinkte gepflastert

Wolfgang Müller-Michaelis

Nachdem Sozialneid, Missgunst gegenüber Erfolgsstreben, eingebunden in Rassenhass hier und Klassenkampf dort Pate bei den großen Katastrophen des letzten Jahrhunderts gestanden hatten, reibt man sich die Augen ob der Inszenierung, die im Herbst anno 2007 auf den Spielplan der deutschen Politik gelangt ist.

Eigentlich war nach dem Intendantenwechsel 2005 zunächst das Epos „Mehr Freiheit wagen“ angekündigt, dann aber noch vor der Premiere vom Trauerspiel „Die Heuschrecken“ verdrängt worden. Nach dessen großem Erfolg war abzusehen, dass man auch fürderhin beim Genre bleiben würde, so dass alsbald das Drama „Kampf um die Mitte“ auf die Bühne kam. Schließlich hatten die Protagonisten der Egalité das Heft des Handelns längst auch an jenen Schaltstellen in die Hand genommen, wo man noch Reste von Vernunft und Überblick vermutet hatte.

Wer genau hingesehen hatte, konnte bereits bei der verbissenen Diskussion um die misslungene Neuordnung des Gesundheitswesens erkennen, worauf die Sache hinauslaufen würde. Statt gerechter Lastenverteilung mit Hilfe des bewährten Reglements der Sozialen Marktwirtschaft war das Kujonieren der Leistungsträger, der Ärzteschaft, zum Ziel der Übung erklärt worden. Keinen der sozialen Gerechtigkeitsfanatiker regt es auf, wenn sich unterbezahlte und überbeanspruchte Assistenzärzte nach einer 60-Stunden-Woche in Kliniken des benachbarten Auslands über das Wochenende Geld dazuverdienen müssen, um ihre Familien über die Runden zu bringen. Ganz abgesehen von der wachsenden Schar jener deutschen Jungakademiker, die man heute rund um den Globus überall dort antrifft, wo ihr Leistungsdrang fairer honoriert wird als in der Heimat, aus deren Mitte sie vertrieben wurden.

Jetzt soll es der nächsten Gruppe von Leistungsträgern, den leitenden Managern der Wirtschaft, an den Kragen gehen. Das Fass ist aufgemacht, und man wird sehen, wie sich die Gazetten in der folgenden Runde der „leistungslosen Absahner“ annehmen werden, die ihre Einkünfte vorwiegend oder ganz aus Kapitalerträgen beziehen.

Patrick Adenauer hat am Nikolaustag in der WELT alles Notwendige gesagt, als er „Merkels undifferenziertes Unternehmerbild“ anprangerte. Exemplarisch für den grassierenden antiliberalen Meinungskonformismus, der dem Konzept der egalitären Mitte den geistigen Unterbau verleiht, mag auch das beredte Schweigen des Wirtschaftsrats der CDU gelten, der einst die verlässliche Phalanx im Kampf um die Verteidigung der Idee des sozialen Marktes gewesen war.

Die Personalpolitik der „Chefin“, die beim Rückbau ökonomischer Kompetenzen schon manche Schleifspuren in der Partei Ludwig Erhards hinterlassen hat, scheint auch hier Wirkung zu zeigen. Seit nach dem „Abschub“ von Friedrich Merz der Weg für die größte Steuererhöhung der deutschen Wirtschaftsgeschichte geebnet war, hat das der Staatskasse nur vordergründig gut getan, zugleich aber dem schleichenden Kollektivismus einen kräftigen neuen Impuls verpasst. Mit der arbeitsplatzvernichtenden Mindestlohnpolitik ist nun ein weiteres unheilvolles Kapitel aufgeschlagen worden. Klar tritt zu Tage, dass mit Friedrich Merz mehr auf der Strecke geblieben ist, als durch die jetzt verfolgte Strategie, die politische Mitte mit Ausschaltung ökonomischer Sachkompetenz behaupten zu wollen, je zu ersetzen sein wird.

Der Immobilismus in der Reformpolitik mag durch das allseits bestaunte und dem Ansehen der Nation unbestritten zugute kommende Agieren auf weltpolitischer Bühne noch eine Weile zu kaschieren sein und die Umfragewerte auf dem erreichten Niveau halten. Aber die lange Bank, auf die derweil alles geschoben wird, ist eben doch, wie schon Martin Luther wusste, des Teufels liebstes Möbelstück.

Spätestens dann, wenn sich das Wort der Kanzlerin, vom Aufschwung der nun auch an der Basis angekommen sei, als Wunschdenken erwiesen haben wird, könnte das auf die Umfragewerte durchschlagen. Schon dürfte durch die Offenbarung des Bundeswirtschaftsministers im Bundestag, dass sich das verfügbare Realeinkommen der privaten Haushalte gegenüber der Zeit des Amtsantritts der Großen Koalition bis heute vermindert habe, die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin einen Stoß erhalten haben.

Nimmt man den Erfahrungswert hinzu, dass Wahlen statt durch Pirouettendrehen auf dem Hochseil der Weltpolitik über das Portemonnaie von Otto Normalverbraucher gewonnen werden, sollte das dem bürgerlich-liberalen Lager Anlass genug sein, seine Vertreter im Bundestag, solange es noch Zeit ist, zur Raison zu rufen.

Mindestens sollte man nach allem, was die Große Koalition dem Land bisher unter dem Strich gebracht hat, die Zuversicht, dass es die Diplom-Physikerin im Kanzleramt schon richten werde, nicht überstrapazieren. Oskar Lafontaine ist schließlich auch Diplom-Physiker.

aus: Forum Ordnungspolitik, Dezember 2007