Nichts ist so beständig wie der Wandel –
Rückblick auf 40 Jahre Arbeitswelt der PR-Manager
Wolfgang Müller-Michaelis
Dass nichts so beständig wie der Wandel ist, kann man an den innovationsträchtigen Entwicklungsphasen ablesen, die die Arbeitswelt der PR-Manager seit den sechziger Jahren bis heute durchlaufen hat. Ein faszinierender Bogen von spektakulären Trends in Kunst und Kultur, von weltpolitischen Umbrüchen und revolutionären technischen Neuerungen spannt sich über diesen Zeitraum, der von den unbeschwerten „Golden Sixties“ des legendären Wirtschaftswunders bis in unsere Ta-ge des von Zukunftszweifeln begleiteten Übergangs in ein neues Jahrhundert reicht.Nicht von ungefähr fällt die Gründung des PR-Report genau in jene Zeit, als in der Wirtschaft mit dem Einsatz öffentlichkeitswirksamer Kampagnen erstmals so richtig „die Post abgeht“. Das Aufkommen der Firmen-PR auf breiter Front und ihre Emanzipation von der bis dato vorherrschenden Produktwerbung wurde in dem Maße unumgänglich, in dem aus den wirtschaftlichen Erfolgen des Wiederaufbaus zunehmend Rechtfertigungsansprüche aus Politik und Medien an die Adresse der öffentlich besonders exponierten Großunternehmen abgeleitet wurden.
Hausgemachte PR als Modell der sechziger Jahre
Den Ölmultis, am Ort des führenden deutschen Ölhafens in Hamburg angesiedelt, fiel aus der Natur ihres Geschäftes im internationalen Verbund agierend die Vorreiterrolle bei der Entwicklung und Anwendung von Strategien zeitgenössischer Öffentlichkeitsarbeit zu. Dabei war die Situation vor vierzig Jahren vergleichbar mit der Entstehungsphase der PR in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, als sich Rockefeller beim Aufbau seiner Öldynastie in den USA genötigt sah, auf öffentliche Angriffe gegen seinen Aufstieg zu reagieren. Auch das stürmische Wachstum der deutschen Industrie 130 Jahre später war zu großen Teilen der schnell anschwellenden Verfügbarkeit des damals noch billigen Öls zu verdanken. In den Verladehäfen des Nahen und Mittleren Ostens wurde das Fass Rohöl zum Preis von einem Dollar in die Tanker gepumpt. In den westeuropäischen Raffinerien wurde es zum Einstandspreis von zwei bis drei Dollar übernommen. Gegenüber den heutigen Marktpreisen von 65 Dollar waren das phantastische Bedingungen, die das Mineralöl zum Schlüsselrohstoff einer boomenden Weltwirtschaft werden ließen.
Das daraus erwachsende öffentliche Interesse an den Ölmultis erklärt, weshalb es ausgerechnet Esso, Shell, BP oder Mobil Oil waren, die als damals sogenannten „Farbengesellschaften“ damit begannen, üppig ausgestattete PR-Abteilungen aufzubauen. Nach dem Vorbild ihrer internationalen Muttergesellschaften deckten sie breit gefächerte Aktivitäten ab, wobei „Marke Eigenbau“ Trumpf war. Der Pressearbeit wurde ein so großes Gewicht beigemessen, dass sie nicht nur von der Zentrale aus, sondern mit Unterstützung regionaler Pressebüros in den Niederlassungen betrieben wurde. Selbst das Anzeigengeschäft wurde zu jener Zeit von der Gestaltung bis zur Schaltung hausintern abgewickelt.
Die BP leistete sich einen eigenen Verlag mit einem vielgestaltigen Programm, das etliche Dutzend Publikationen, meist Periodika umfasste. Hier erschien in einer Auflage von 35.000 Exemplaren der damals vor allem bei Lehrern beliebte BP-Kurier, eine Vierteljahreszeitschrift, in der renommierte Fachautoren schwerpunktartig die großen Themen der Zeit abhandelten. Dazu kamen Kundenzeitschriften für die diversen Geschäftssparten, die monatliche Mitarbeiterzeitschrift „dabei“, Schautafeln für den Unterricht zu Chemie, Geologie und Geographie, eine Fülle von Fachpublikationen und als „Flaggschiff“ das Standardwerk „Das Buch vom Erdöl“, das es im Laufe der Jahre auf acht Auflagen bringen sollte. In Kindergärten und Schulen erfreute sich die „Teddy-Polizei“ für den Verkehrsunterricht großer Beliebtheit. Auch das von Journalisten sehr begehrte, im Kroll-Verlag erschienene „Taschenbuch der Wirtschaftspresse“ war eine BP-Erfindung der damaligen Zeit und fand später viele Nachahmer in anderen Branchen. Der BP-Filmkatalog, aus dem Film-Matineen in ganz Deutschland beliefert wurden, umfasste über 100 Titel. Das Medienprogramm Schule / Wirtschaft entwickelte sich zu einem Renner für Unterrichtsmaterialien im Schulbetrieb, wobei sich der Erdölatlas und das Spiel „Öl für uns alle“ besonderer Nachfrage erfreuten. Kein Wunder, dass es der hauseigene PR-Bereich bei diesem Produktsortiment in der Spitze auf eine Hundertschaft an Personal brachte.
Politik an der Tankstelle
Aus dieser heilen PR-Welt wurden wir durch den jähen Einschnitt des Yom-Kippur-Krieges vom Oktober 1973 herausgerissen. Hinsichtlich der weltwirtschaftlichen Folgewir-kungen sollte sich dieses Ereignis dem des knapp eine Generation später folgenden 11. September 2001 als durchaus ebenbürtig erweisen. Die Ölpreise zischten nach oben und in den Redaktionsstuben von BILD und Tagesschau brach die Hölle los. Auch ich wurde Opfer des nun einsetzenden beispiellosen Feldzugs der Medien gegen eine ganze Industrie. Ich musste eine mir hart erarbeitete Versetzung zur Londoner Muttergesellschaft abbrechen. Wie die Spitzen aller Ölmultis sah sich auch mein damaliger Chef Albert Hallmann, zugleich in seiner Funktion als Sprecher des Mineralölwirtschaftsverbandes, den wütenden öffentlichen Angriffen ausgesetzt. Die Volksseele kochte auf der Hitze der eskalierenden Benzinpreise so sehr, dass eines Ta-ges im BP-Haus in der City Nord unangemeldet die beiden Vorsitzenden der Jusos Wolfgang Roth und Gerhard Schröder auf der Matte standen. So nahm der Druck aus Politik und Medien Züge an, die uns als Kämpfer in Abwehrschlachten an der öffentlichen Meinungsfront im Dauereinsatz sahen. Zu spektakulären Höhepunkten dieser Auseinandersetzungen um den „Brotpreis der Neuzeit“ gerieten die mit entsprechender medialer Begleitmusik vom Bundeskartellamt veranstalteten Öl-Hearings.
Diese Zuspitzung öffentlicher Auseinandersetzung wurde zur großen Stunde professioneller Beratung durch externe PR-Agenturen, der sich selbst die auf diesem Gebiet mit allen Wassern gewaschenen Ölmultis nicht länger verschließen mochten. Rat von außen war auch darum geboten, weil im Zuge der permanenten Multischelte Kommunikationsprobleme auftauchten, die es in dieser Form nicht gegeben hatte. Mit den Bossen gerieten in den öffentlichen Medien plötzlich auch deren Mitarbeiter in die Schusslinie. Wer arbeitete schließlich gern in einer Firma, deren Chef in den abendlichen TV-Nachrichten als profitgieriger Hasardeur an den Pranger gestellt wurde.
Der damalige Doyen der Öffentlichkeitsarbeiter „nördlich der Mainlinie“ war der in Hamburg residierende Lutz Böhme, der auch zu den Gründungsvätern des PR-Report gehörte. Seinen Empfehlungen folgend richteten wir in der BP-Zentrale ein Videostudio ein, um die eigenen Mitarbeiter mit unseren Stellungnahmen über das identische Medium zu erreichen, das uns fast täglich mit seiner unbändigen Kritik überzog. Wir gingen aber noch einen Schritt weiter und holten uns über das „feindliche“ Medium hinaus auch seine prominenten Akteure ins Haus. Die BP-Statements zu den im Fernsehen erhobenen Vorwürfen wurden nun in den darauffolgenden Tagen in Nonstop-Vorführungen im Filmsaal der BP von genau jenem Werner Veigel vorgetragen, der zuvor in der Tagesschau die Einblendungen empörter Kunden an den Tankstellen kommentiert hatte. Auch der damals prominenteste TV-Kopf Werner Höfer wurde zeitweilig Mitglied unseres um Aufklärung in der Sache bemühten PR-Teams. Bei BP-Veranstaltungen quer durch die deutschen Lande trat er als Moderator von Diskussionsrunden über die Rolle der Ölmultis in der energiepolitischen Auseinandersetzung auf. Aus heutiger Sicht kann das Resümee gezogen werden, dass sich die Strategie medialer Waffengleichheit in der dramatischen Politisierungsphase der siebziger Jahre alles in allem bewährt hatte.
Schutzsuche beim Kaiser
Die wirksame Unterstützung, die den Multis während der Ölpreiskrisen von externer PR-Beratung zuteil geworden war, hat der Kommunikationsbranche insgesamt entscheidende Impulse für einen flächendeckenden Einsatz in der gesamten Wirtschaft gegeben. Es geriet nun zum Imagefaktor für Unternehmen, inwieweit sie sich der Begleitung durch PR-Agenturen auf öffentlichem Terrain bedienten. So blieb es nicht aus, dass über strategische Beratung hinaus bald auch das breite Spektrum kommunikativer Dienstleistungen ein „Outsourcing“ aus den unternehmensinternen PR-Abteilungen erlebte und zu den Agenturen hinüberwanderte. Viele erkannten damals ihre Chance und etablierten sich dem Beispiel der Werbeagenturen folgend als Full-Service-Agenturen auch im Bereich der Public Relations.
Entsprechend veränderte sich das Arbeitsfeld der PR-Manager in den Unternehmen. Zwar blieb die Pressearbeit wegen ihres engen unternehmensstrategischen Bezugs auch weiterhin in der Federführung der Firmen-PR. Das Anzeigengeschäft, die Konzeption von Publikationen und das Eventmanagement wurden aber überwiegend den Agenturen überlassen. So wurden der Imagepflege der Unternehmen neue Kreativitätspotenziale erschlossen. Aus den Erfahrungen der Politisierung und Emotionalisierung des Ölgeschäfts wurde nun der Spieß umgedreht und die öffentliche Profilierung in gezielter Weckung positiver Emotionen gesucht. Aus diesem strategischen Ansatz ist die Partnerschaft der BP mit dem HSV in den achtziger Jahren entstanden.
Dieser zehn Jahre laufende Sponsorvertrag hat insofern PR-Geschichte geschrieben, als erstmalig ein internationales Markenunternehmen die Trikots von Bundesligaprofis zur Imagepflege nutzte. Dass es nicht Bekanntheitsgrad oder Produktwerbung, sondern die bewusste emotionale Verbindung mit der in Deutschland beliebtesten Massensportart war, die die BP zu dieser Partnerschaft veranlasste, ist vielfach missverstanden worden. Nach dem Motto „Wenn schon, denn schon“ hat das Unternehmen die Liaison mit dem Sympathieträger HSV zu weiterführenden Programmen und Aktionen seiner Öffentlichkeitsarbeit genutzt.
So wurde die Comic-Serie „Super-Kevin“ mit dem HSV-Star Kevin Keegan für Anzeigenschaltungen in der Boulevardpresse im Rahmen einer Energiesparkampagne konzipiert. Nach der Rückkehr Keegans nach England, der dort später Nationalcoach wurde, engagierte sich die BP bei der Verpflichtung von Franz Beckenbauer. Aus Amerika kommend wurde er zur Leitfigur des vom Unternehmen aufgelegten Jugend- und Sportprogramms, das dafür warb, die jungen Leute von der Straße zu holen, sie von Drogen fernzuhalten und in die Vereine zu lotsen. Die BP, der HSV und nicht zuletzt Franz Beckenbauer haben bis auf den heutigen Tag von dieser Partnerschaft profitiert, zumal der spätere Weg des „Kaisers“ über den deutschen Teamchef bis zum Promoter der Fußball-WM 2006 in Deutschland ohne den erneuten aktiven Einsatz beim HSV kaum möglich gewesen wäre. Im übrigen ist das Honorar, das Beckenbauer für seine Mitwirkung in der BP Firmen-PR seinerzeit verdiente und zugleich den Spieleretat des HSV entlastete, in eine Stiftung eingeflossen, die ihren Sitz bis heute in Hamburg hat, vom ehemaligen HSV-Präsidenten Wolfgang Klein verwaltet wird und bedürftigen und behinderten Jugendlichen unter die Arme greift.
Internet öffnet neue Wege
Mit Globalisierung der Wirtschaft, digitaler Revolutionierung der Kommunikationstechnologien und demographischen Umbrüchen in der Gesellschaft werden die Lebensverhältnisse der Menschen und damit auch die Arbeitsbedingungen der PR-Manager mit Beginn der neunziger Jahre noch einmal kräftig durcheinandergewirbelt. Die Lebenszyklen technischer Neuheiten werden immer kürzer, die Ertragsaussichten der Produzenten immer unsicherer und die Kaufzurückhaltung der Konsumenten immer durchschlagender.
Sinkendes Wachstum und steigende Staatsschuld bei Überbeanspruchung der sozialen Sicherungssysteme und über allem eine anhaltend hohe Massenarbeitslosigkeit geben der Stimmungslage in Deutschland ein negatives Vorzeichen. Es überrascht nicht, dass die Auftragsbücher der Agenturen von diesen Entwicklungen nicht unberührt bleiben, zumal auch das Anzeigengeschäft der Verlage nach wie vor zu wünschen übrig lässt. Dennoch gibt es keinen Grund für Depressionen, für die Kommunikationsbranche schon gar nicht.
Zwar sind auch ihre Möglichkeiten letzten Endes begrenzt, neue Trends zu setzen. Aber Stimmungslagen zu beeinflussen, ist schon immer ihr Metier gewesen. Mit Internet und Telecomputer sind wie allen anderen Berufen auch dem Öffentlichkeitsarbeiter unserer Zeit wunderbare Mittel kreativer Gestaltung in die Hand gegeben. Vielleicht müssen sich die führenden Köpfe der Kommunikationswirtschaft noch mehr als bisher bewusst machen, dass der Entwicklung und Umsetzung kommunikativer Strategien unter den heutigen Verhältnissen ein ungleich größeres Gewicht zukommt, als es das in früheren Zeiten gewesen ist.
Den Menschen wieder Mut zu machen, könnte eine übergeordnete Aufgabe der PR-Agenturen von volkswirtschaftlicher Dimension sein. Etwa auf der Linie der Deutschland-Kampagne, die Sebastian Turner von der Alt-Hamburger, heute Berliner Agentur Scholz & Friends unter das Motto „Land der Ideen“ gestellt hat und auf das auch Bundespräsident Horst Köhler bei seiner Antrittsrede im Deutschen Bundestag im letzten Jahr verwiesen hatte. Wir sehen, es gibt nach wie vor viel zu tun. Packen wir’s an.
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aus: PR Report, Sonderausgabe 40 Jahre, September 2005