Norderstedt - florierender Wirtschaftsstandort im Süden des Nordens

Aus dem Jahrbuch 2001 des Heimatbund Norderstedt e.V.

Wolfgang Müller-Michaelis

Wenn man vor dem Kriege für eine Monographie über traditionelle Wirtschaftsräume auf die Suche nach einer typischen Region für Ackerbau, Viehzucht, Forstwirtschaft, Handwerk und Torfgewinnung gegangen wäre, es hätte keine bessere Wahl als das Gemeindeensemble Harksheide, Glashütte, Garstedt und Friedrichsgabe geben können.

Blickt man heute auf das im Jahr 1970 aus dem kommunalen Verbund dieser Gemeinden entstandene Norderstedt, rückt einer der modernsten Wirtschaftsstandorte Deutschlands, ja Europas ins Visier. Weithin unbeachtet von nationalen und internationalen Medien ist mit der Stadt Norderstedt in nur einer Generation ein ökonomisches Leistungszentrum zur Blüte gelangt, dessen Entstehungsgeschichte einem kleinen Wirtschaftswunder gleich kommt.

Dabei verdankt die Stadt ihren erstaunlichen Aufschwung einer ganz spezifischen Ausgangslage mit nur an diesem Ort und in dieser Kombination zusammenwirkenden Wachstumsfaktoren. Dazu gehören die Grenzlage zwischen der Wirtschaftsmetropole Hamburg im Süden und dem Flächenstaat Schleswig-Holstein im Norden, die zusammen einen Absatzmarkt von 4,4 Millionen Menschen bilden. Nimmt man die weitere Nachbarschaft der skandinavischen und baltischen Staaten hinzu, sind von Norderstedt aus nationale und internationale Märkte mit insgesamt 50 Millionen Menschen erreichbar. Aber es ist nicht nur diese außergewöhnliche geo-ökonomische Konstellation im Verbund mit einer begünstigten Verkehrslage (Flughafen-, Überseehafen- und Autobahn-Anbindung), die das "Wirtschaftswunder Norderstedt" erklären. Dieser Raum im Norden Hamburgs ist nach dem letzten Weltkrieg zum Zuzugsgebiet von tausenden Heimatvertriebener aus dem deutschen Osten geworden, deren starker Aufbauwille sich mit den positiven Voraussetzungen verband, die die Wirtschaftsgeographie bot. Hinzu kam eine kluge und zukunftsorientierte Kommunalpolitik, die sich, manche fiskalpolitischen Fehlleistungen des reichen südlichen Nachbarn zunutze machend, in einer zielsicheren Ansiedlungspolitik niederschlug. Die hierbei als planerischer Impulsgeber wirkende Entwicklungsgesellschaft Norderstedt hat am ausgewiesenen Erfolg dieses beispiellosen Aufbauwerkes einen hervorragenden Anteil.

Im Zeitalter der Globalisierung sieht sich die Politik überall vor die gleiche Herausforderung gestellt, den Übergang von der Industriegesellschaft in die Wissensgesellschaft zu bewältigen. Gerade in dieser Hinsicht kann sich Norderstedt sehen lassen, das schon seit Jahren mit vorausschauenden Konzepten die Weichen in diese Richtung gestellt hat. Das Ergebnis ist die Ansiedlung junger Industrien und Dienstleistungen, die mit ihren Wirtschaftstätigkeiten voll auf der Höhe der Zeit liegen. So blieb die Stadt von Fehlplanungen verschont, die die Steuerkraft anderer Kommunen mit subventionsträchtigen Altlasten aushöhlen. Hier ist eine Durchmischung von Wirtschaftsbranchen entstanden, die für eine zugleich zukunftsträchtige und beschäftigungssichernde Wirtschaftsstruktur stehen.

Dazu gehören Medizintechnik, Logistik und Pharmazie ebenso wie Fahrzeug- und Maschinenbau, Kunststoffproduktion, Papierverarbeitung und Druckindustrie. Betriebe der Lebensmittel- und Genussmittelindustrie bieten krisenfeste Arbeitsplätze wie Unternehmen der Informationstechnologie, Elektronik, Datenverarbeitung, Softwarewirtschaft und Telekommunikation. Dabei gibt es eine fruchtbare Verbindung von heimischer mittelständischer Wirtschaft und modernen Handwerksbetrieben mit Tochtergesellschaften deutscher und internationaler High-Tech-Unternehmen. In ihren Märkten führende Firmen wie Johnson & Johnson, Ethicon, Casio, Miles, Jean Pascale, Saint Gobain, Van Houten, UTAX, Verlaat sowie Rewe, Otto Versand, Jungheinrich, Softmatik, Stielow, Persiehl, Plambeck, TETENAL und Lufthansa, KLM, V.A.G. sowie Panalpina gehören dazu.

Als Folge dieser erfolgreichen Ansiedlungspolitik hat sich die Zahl der Beschäftigten seit Gründung der Stadt 1970 von 17 000 auf 34.000 verdoppelt. Das bedeutet, dass die Norderstedter Wirtschaft fast halb so vielen Menschen Arbeit bietet, wie die Stadt Einwohner hat. Schließlich ist die Zahl der Gewerbebetriebe und Dienstleistungsunternehmen im gleichen Zeitraum von 1.500 auf 4.000 angestiegen, was einem Rekordzuwachs von 170 Prozent entspricht. Das ist der eigentliche Grund für die in der Nachbarschaft zur Metropole Hamburg erstaunliche Tatsache, dass am Standort Norderstedt die Zahl der Einpendler die Zahl der Auspendler übersteigt.

Die Entwicklung für ein weiteres stabiles Wachstum von Einkommen und Beschäftigung und damit auch Steuerkraft ist vorprogrammiert. Denn Norderstedt hat sich mit den Stadtwerken zugleich auch ein unternehmerisches Instrument für den Aufbau einer modernen Telekommunikations-Infrastruktur geschaffen. Mit dem Unternehmen wilhelm.tel hält die Stadt ein eigenes Telefon- und Datennetz für Wirtschaft, Verwaltung und private Nutzung vor, dessen impulsgebende Kraft für zukünftiges Wachstum auf einem auf dem letzten Stand der Technik befindlichen flächendeckenden Glasfasernetz beruht.

Darüber hinaus ist Norderstedt für die Zukunft mit vorbildlichen Bildungseinrichtungen gerstet. Die in der Stadt angesiedelten berufsorientierten Bildungsträger Volkshochschule, Wirtschaftsakademie und Dekra ergänzen sich mit den im weiteren regionalen Einzugsgebiet gelegenen fünf Universitäten, sieben Fachhochschulen und zwölf Technologie-Zentren auf das vortrefflichste. Da die Zukunftsmärkte der Wissensgesellschaft neben Informations- und Kommunikations-HighTech vor allem auch in den "weichen" Sektoren Gesundheit, Bildung, Kultur, Unterhaltung/Sport und Tourismus/Naherholung/Beherbergung gesehen werden, liegt Norderstedt auch mit seiner diese Themen abdeckenden Messe sowie mit den neuen Mehrzwecksälen der TriBühne und der jüngst gegründeten Kulturstiftung voll im Trend.

Um in der Tradition der bisher so erfolgreichen Entwicklung der Zeit auch weiterhin eine Nasenlänge voraus zu sein, darf es indessen kein Ausruhen auf errungenen Lorbeeren geben. Es ist offensichtlich, dass die künftigen infrastrukturellen Großprojekte der Stadt in den Zukunftsmärkten der Wissens- und Informationsgesellschaft angesiedelt sein müssen. Daher braucht Norderstedt zum Ausbau seiner Standortvorteile, zur weiteren Verbesserung der Lebensqualität seiner Bürger, Gäste und arbeitenden Bevölkerung drei noch fehlende Dinge: Eine moderne Hotel- und Kongressanlage, eine Fachhochschule und ein Mehrzweckstadion.

erschienen in: Jahrbuch 2001 des Heimatbund Norderstedt e.V.
Norderstedt, 2001