Die EWG braucht eine Währung
Wolfgang Müller-Michaelis
Integration und WährungsunionSeit Beginn des Jahres 1970 befindet sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nach 12jähriger Übergangszeit in einem neuen Stadium ihrer Entwicklung. Den Zustand einer vollendeten Zollunion hatte sie auf dem Papier bereits am 1. Juli 1968 erreicht. Dieser Zustand bedeutet, daß im Handelsaustausch der Partnerländer untereinander für die wichtigsten Güter und Dienstleistungen die Zölle abgebaut sind, während die Gemeinschaft gegenüber der Außenwelt mit einer gemeinsamen Zollmauer umgeben ist. Heute ist die EWG mehr als diese Zollunion, denn es sind im Zuge dieses handelspolitischen Integrationsprozesses Festlegungen und Ausrichtungen getroffen worden - man denke nur an die gemeinsame Agrarmarktordnung -, die das Ziel einer die Zollunion übergreifenden Wirtschafts- und Währungsunion fixieren.
Diese höher gesteckte Zielsetzung ergibt sich aus dem EWG-Vertrag selbst. Allerdings mehr aus seinem Geist, denn aus seinen Buchstaben. Es spricht für die politische Klugheit der Vertragspartner, daß sie vor Eintritt in das Abenteuer "Gemeinsamer Markt" 1958 ihre letztendliche Wunschvorstellung nur angedeutet und allzu viele verbale Festlegungen vermieden haben. Heute aber, da der Gemeinsame Markt zu einer unverrückbaren Realität geworden ist, seine Segnungen allenthalben spürbar sind und die weitere Funktionsfähigkeit des Erreichten ohne Ausbau zur Wirtschaftsunion hin in Frage gestellt wäre, sind die Partner zur raschen Oberwindung der jetzt auftretenden Integrationshemmnisse gezwungen. Die mangelnde Funktionsfähigkeit des Gemeinsamen Marktes unter der gegebenen Bedingung der noch ausstehenden Wirtschafts- und Währungsunion tritt am deutlichsten im Bereich der Konjunkturpolitik zu Tage.
Mit jedem Jahr weiteren Ausbaus des Gemeinsamen Marktes sind die konjunkturellen Abläufe - die Entwicklung von Produktion, Verbrauch, Außenhandel, Einkommen und Preisen - in den Partnerländern immer stärker voneinander abhängig geworden. Gleichzeitig verloren die konjunkturpolitischen Instrumente, die ja zur Steuerung der herkömmlichen nationalwirtschaftlichen Abläufe entwickelt wurden, in Anwendung auf den komplexer werdenden Wirtschaftsprozeß im Gemeinsamen Markt zusehends an Wirksamkeit. Während das Schlachtfeld des Konjunkturablaufs größer und unübersichtlicher wurde, stehen zu seiner "Bestreichung" nach wie vor nur die alten konjunkturpolitischen Haubitzen zur Verfügung. Ihnen mangelt es nicht nur an der nunmehr nötigen Reichweite, sie schlagen darüber hinaus nicht selten in einem befreundeten Nachbarfeld ein, was die dort stehenden verbündeten Truppen natürlich irritiert.
In der modernen Volkswirtschaft sind an der Steuerung des Konjunkturablaufes die Wirtschafts- und Finanzministerien sowie die Notenbanken beteiligt. Hierin kommt der enge Zusammenhang zwischen Wirtschafts-, Fiskal- und Währungspolitik zum Ausdruck. Gemeinsame Regelungen in einem Bereich müssen notwendigerweise gemeinsame Regelungen in den anderen Bereichen einschließen. Die gemeinsame Währungsunion, die in ihrer Endstufe mit der Einführung einer einheitlichen EWG-Währung einhergehen müßte, stellt aus diesem Grunde eine unumgängliche Etappe auf dem Wege zur gemeinsamen europäischen Volkswirtschaft dar. Darüber hilft kein Lamentieren hinweg, daß mit dem Schritt zur Währungsunion weitere nationale Eigenständigkeiten aufzugeben und noch gewichtigere Souveränitätsverzichte als bisher schon zu leisten sind. Am Beispiel der zu schaffenden gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion zeigt sich, daß ein einmal in Gang gesetzter wirtschaftlicher Integrationsprozeß schrittweise Sachzwänge gebiert, zu deren Überwindung es keine Alternativen gibt. Mit der Zuchtrute ökonomischer Logik treibt der Integrationsmechanismus seine Initiatoren dazu an, die Integration von Stufe zu Stufe der Vollendung anzunähern. Wie total die Eigendynamik dieses Vorgangs ist, erleben wir ab und zu am Beispiel der Brüsseler Nachtsitzungen. Dabei kommt es nicht selten vor, daß, um der Majestät "Integrationsprozeß" den ihr gebührenden Tribut zu zollen, sogar die Dimension "Zeit" außer Kraft gesetzt, das heißt die Uhr im Sitzungssaal der Brüsseler Kommission angehalten wird.
Das Delikate der Währungsunion
"Kaum ein anderes Feld der Wirtschaftspolitik ist so komplex, so intim mit allen anderen Sektoren des Wirtschaftslebens verquickt und aus den verschiedensten Gründen so delikat, wie das der Geld- und Währungspolitik."
Dieser Ausspruch eines Mannes, der es wissen muß - EG-Kommissions-Präsident JEAN REY deutet an, warum sich die Sachlogik im Falle der Schaffung einer europäischen Währungsunion nur sehr zäh Bahn zu brechen vermag. Das Ausmaß dessen, was an praktischer Harmonisierung erreicht werden muß, bevor der "Gemeinschaftstaler" in den Geldbörsen der Europäer klimpert, wird vielleicht dann recht plastisch, wenn man sich einmal vorstellt, daß es auf dem Gebiet der Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik gegenwärtig 17 mehr oder weniger autonom nebeneinander tätige Behördenapparate im Bereich der EWG gibt, die es letztlich auf 3 "Leitbehörden" auszurichten gilt: 6 Wirtschaftsministerien, die heute die allgemeine Wirtschaftspolitik und Teile der Konjunkturpolitik in den Partnerländern steuern, 6 Haushalts- und Finanzministerien, die die Verantwortung im Bereich der einzelstaatlichen Fiskal- und Budgetpolitik und damit auch partiell auf konjunkturpolitischem Gebiet tragen und schließlich 5 Zentralbanken (Belgien und Luxemburg stellen bereits heute eine Währungsunion dar), die bis jetzt noch mehr oder weniger unabhängig voneinander die Währungspolitik bestimmen, das heißt Entscheidungen über die jeweilige Zahlungsbilanz- und Wechselkurspolitik sowie über die Geld- und Kreditpolitik und damit auch wieder über konjunkturpolitische Maßnahmen treffen.
Nach allgemein übereinstimmender Auffassung steht hinsichtlich der nach innen gerichteten gemeinsamen Währungspolitik ein Problem obenan, das dringend der Lösung bedarf: künftige Änderungen der Währungsparitäten zwischen den Sechs auszuschließen, nicht zuletzt, um den Bestand der Agrarunion nicht zu gefährden. Im Falle des gemeinsamen Agrarmarktes zeigt sich, wie notwendig zu seinem Funktionieren bereits jetzt eine gemeinsame europäische Währungseinheit wäre. Denn das wesentliche Merkmal der gemeinsamen Agrarmarktordnung sind die auf gemeinschaftlichem Niveau festgelegten Agrarpreise, deren rechnerischer Ausdruck eigentlich einer Gemeinschaftswährung bedurft hätte. Mangels Masse griff man zu einer Notlösung, zur Einheit "RE", die weder eine Huldigung an den amtierenden Kommissions-Präsidenten noch bereits eine Art EWG-Währungseinheit darstellt, sondern nur eine Abkürzung für das ist, was sie ist, nämlich eine "Rechnungseinheit". Sie entspricht der Parität des US-Dollar, weshalb sie auch "grüner Dollar" genannt wird. Ändert nun ein EWG-Mitgliedsland seine Währungsparität zum US-Dollar - das heißt findet eine Ab- oder Aufwertung seiner Währung statt - gerät die ganze Agrarmarktordnung jedesmal in ein heilloses Durcheinander Das ist in den letzten zehn Monaten mit der Abwertung des französischen Franc und der Aufwertung der Deutschen Mark immerhin zweimal passiert. Der allgemeine Wunsch nach festen Währungsparitäten der EWG-Partner untereinander ist aus den Erfordernissen des Integrationsmechanismus heraus also sehr verständlich. Mit der Einführung fester Paritäten der EWG-Währung untereinander wäre im übrigen eine wesentliche Voraussetzung einer Gemeinschaftswährung gegeben.
Dies alles wäre kaum problematisch, wenn es den Pferdefuß der notwendigerweise ergänzend hierzu einzuführenden gemeinschaftlichen Wirtschafts- und Konjunkturpolitik nicht gäbe. Diese komplementäre gemeinsame Konjunkturpolitik ist darum notwendig, weil sie - heute noch mögliche - Änderung der Währungsparitäten immer eine Anpassungsmaßnahme in einer monetären Ungleichgewichtssituation darstellt. Entfällt die Möglichkeit der autonomen Wechselkurspolitik, muß zur Behebung dieser Ungleichgewichtssituation an ihre Stelle eine auf den Binnenmarkt gerichtete konjunkturpolitische Maßnahme treten. Und auch diese darf nicht autonom getroffen werden, sondern muß Gemeinschaftscharakter haben, weil andernfalls das Ungleichgewicht sehr schnell Wellen schlagen und um sich greifen würde, anstatt beseitigt zu werden.
Das Delikate der die Währungsunion abstützenden gemeinsamen Wirtschafts- und Konjunkturpolitik liegt in der notwendigen Aufstellung der Prioritätenskala der Ziele einer solchen vereinheitlichten Politik. Liegen sich schon in den nationalen Volkswirtschaften die "Stabilitätshelden" und "Wachstumsfanatiker" ständig in den Haaren - wie soll das erst auf Gemeinschaftsebene werden? So fragen besorgte und umsichtige Männer aus den Partnerländern und auch aus Brüssel. Diese Frage rührt in der Tat an den Kern des Selbstverständnisses der Gemeinschaft. Denn in ihre positive Beantwortung - und hierzu gibt es keine vernünftige Alternative - wäre die Bestätigung eingeschlossen, daß die EWG vom Zeitpunkt der Einigung über diese Fragen an automatisch auch eine politische Union sein würde. Unter der Bedingung einer Gemeinschaftskompetenz im Bereich der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik wäre jede konjunkturpolitische Maßnahme letzten Endes eine von nationalen Institutionen nicht revidierbare Entscheidung über entweder mehr Wachstum - das heißt meistens verbunden mit der Hinnahme von mehr oder weniger Inflation - oder mehr Stabilität - das heißt meistens verbunden mit der Hinnahme von Wachstumsverlusten einschließlich möglicher partieller Arbeitslosigkeit.
Soll die Gemeinschaft eine Stabilitäts- oder Inflationsgemeinschaft werden? Pessimisten sagen hierzu, solange es Partnerländer gibt, die jährliche Preissteigerungen von 5 % und mehr hinzunehmen bereit sind, während für andere die Schwelle der Inflationsempfindlichkeit bei 1 % liegt, sei eine Währungsunion nicht denkbar. Optimisten könnten dem entgegenhalten, daß ein sich stärker entwickelndes Gefühl, in einem Boot zu sitzen, eine politische Union zu sein, mögliche Unruhen jener Gruppen aufzufangen in der Lage sein müßte, die sich von derartigen Entscheidungen negativ getroffen fühlen könnten.
Da rationale Konjunkturpolitik nicht ohne synchron laufende Fiskalpolitik möglich ist, erwüchse auch hier ein weites Feld permanenter Gemeinschaftsentscheidungen von politischem Gewicht. Welchem Bereich soll bei der Prioritätenabstimmung einer gemeinsamen Budgetpolitik der Vorrang vor anderen eingeräumt werden? Den Verteidigungsausgaben, der sozialen Sicherung oder den Ausgaben zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur - und dann, in welchen Regionen? Man sieht: Der "Gemeinschaftstaler" wäre einerseits ein vorzügliches Mittel, den Grauschleier desintegrierender, gegeneinander gerichteter Wirtschafts- und Konjunkturpolitiken aus der Gemeinschaft herauszuzwingen. Was er aber andererseits hereinzwingen würde, wäre die allen Partnern auferlegte Abstinenz von nationaler, eigenständiger Prioritätenaufstellung wirtschaftspolitischer und letztlich politischer Ziele.
Die "Vier Stufenpläne"
Es ist nicht so, daß der EWG-Vertrag keinerlei Weichen für den Übergang der Zollunion in die Wirtschafts- und Währungsunion gestellt hätte. Eine ganze Reihe von Vertragsvorschriften bildeten bisher schon die Grundlage für gemeinschaftliche Aktionen, mit deren Hilfe Meilensteine auf dem Wege zur Wirtschafts- und Währungsunion gesetzt wurden. So finden regelmäßige Treffen der Finanzminister der Mitgliedsländer statt, ein gemeinsamer Ausschuß für Konjunkturpolitik wurde gebildet (1962), die Konsultationspflicht im Falle einer Änderung der Währungsparitäten wurde eingeführt, 1964 wurde der Ausschuß der Zentralbankgouverneure ins Leben gerufen, die gemäß EWG-Vertrag bestehende Institution des "Währungsausschusses" machte die Einführung obligatorischer Konsultationsverfahren für die Zusammenarbeit der Mitgliedsländer in Angelegenheiten internationaler Währungsfragen möglich, und ein Ausschuß für Haushaltspolitik wurde gebildet. Am 17. Juli 1969 haben sich die Sechs darüber hinaus in Anlehnung an einen Vorschlag des Vizepräsidenten der EG-Kommission, BARRE, über eine kurzfristige gegenseitige Hilfe in Währungsfragen geeinigt und auf der Konferenz von Den Haag im Dezember 1969 schließlich wurde mit dem Beschluß, einen Stufenplan für das weitere Procedere zur Bildung der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion aufzustellen, eine neue entscheidende Initiative auf dem Wege zu diesem Ziel ergriffen.
Dieser EWG-Stufenplan liegt seit März 1970 vor. Er ordnet sich in eine Fülle ähnlicher Stufenpläne nationaler Behörden ein, von denen gegenwärtig der luxemburgische WERNER-PLAN, der belgische SNOY-PLAN und der deutsche SCHILLER-PLAN am meisten diskutiert werden.
Formal ist all diesen Plänen gemeinsam, daß sie sich, an die 3 Vierjahresstufen der Übergangszeit des Gemeinsamen Marktes von 1958 bis 1970 anknüpfend, an einer ähnlichen zeitlichen Stufenfolge bis zur Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion orientieren. So sollen nach dem EWG-Stufenplan in zwei bis 1974 und 1978 reichenden Phasen mit Hilfe von Institutionen und Instrumenten "Vorbereitungen" und "Oberleitungen" bis zum Eintritt in die letzte "Vollendungsphase" erfolgen.
Der EWG-Stufenplan sieht für die erste Phase die Annahme eines dritten "Programms für die mittelfristige Wirtschaftspolitik" vor, in dem bestimmte quantitative Orientierungsdaten für die einzelnen Partnerländer wie Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts, Arbeitslosenquoten, Inflationsraten und Höhe der Ausfuhrüberschüsse festgelegt werden sollen. In ihrem Memorandum vom Dezember 1969 hat die EG-Kommission einen solchen Rahmen-Daten-Entwurf bereits vorgelegt (siehe Tabelle). In der zweiten Phase ist eine gemeinsame Festlegung der wirtschaftspolitischen Leitlinien für die Globalpolitik, sowie eine jährliche Überprüfung der Wirtschaftsentwicklung anhand der vorgegebenen Orientierungsdaten, verbunden mit gleitenden Projektionen vorgesehen. In der letzten Phase erfolgt dann die wirtschaftspolitische Zielfixierung durch Gemeinschaftsbeschluß. Seine Ausführung übernehmen Gemeinschaftsinstitutionen, die dafür mit den notwendigen Befugnissen auszustattet sind.
Neben dieser allgemeinen Zielabstimmung sind für alle relevanten Bereiche der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik, wie Haushalts- und Steuerpolitik, Geld- und Kreditpolitik, Wechselkurs- und Zahlungsbilalnzpolitik, Einkommenspolitik sowie Kapitalmarkt- und Strukturpolitik innerhalb dieser Stufen aufeinanderfolgende Festlegungen und Ausrichtungen vorgesehen. Sie würden in der Endstufe zu einer Abschaffung der Steuergrenzen, der Errichtung eines gemeinsamen Zentralbanksystems, der Schaffung eines Europäischen Währungsfonds (dem die nationalen Währungsreserven zunehmend zugeführt werden sollen), der Ausschließung von Währungsparitätenänderungen und dem Übergang zu einer gemeinsamen Europäischen Währungseinheit und schließlich zur Verwirklichung des freien Kapitalverkehrs innerhalb der Europäischen Wirtschaftsunion führen. Damit wären auch auf wirtschafts- und währungspolitischem Gebiet alle die Voraussetzungen geschaffen, die den Ablauf des Wirtschaftsprozesses entsprechend binnenmarktähnlichen Verhältnissen gestatten würden, das heißt so, wie heute innerhalb einer nationalen Volkswirtschaft.
Die genannten Stufenpläne weisen interessante Unterschiede auf. Der WERNER- wie der SNOYPLAN sind gegenüber dem EWG- und dem SCHILLER-PLAN sehr viel drängender auf die Herbeiführung der Währungsunion gerichtet. Das versteht sich aus der Eigenentwicklung Belgiens und Luxemburgs zu einer bereits existenten Wirtschafts- und Währungsunion. In ihren Erfahrungen bestätigt sich die "katalytische Wirkung" einer Währungsunion auf den gesamtwirtschaftlichen Integrationsprozeß. Beide Pläne zielen daher darauf ab, über eine Einengung der Schwankungsbreiten der Wechselkurse und Ausschließung von Paritätsänderungen möglichst unmittelbar zu einer gemeinsamen Währungseinheit zu gelangen, die bereits in nächster Zukunft wenigstens fakultativ bei Anleiheemissionen realisiert werden soll.
Demgegenüber ist sowohl der EWG- als auch der SCHILLER-PLAN in wahrscheinlich realistischer Einschätzung der noch weithin bestehenden strukturellen Unterschiede in den Volkswirtschaften der Sechs zunächst einmal stärker auf die Angleichung dieser Strukturen ausgerichtet. Man denke nur an die unterschiedlichen nationalen Gesetzgebungen, die den Haushalts- und Steuerpolitiken in den Partnerländern zugrunde liegen. Die sechs Parlamente werden hier eine sehr schwerfällige Maschinerie in Gang zu bringen haben. Schnelle und elegante Lösungen sind selbst bei gutem Willen aller Beteiligten nicht zu erwarten.
Die vier Stufenpläne sind bei allen Unterschieden in der Behandlung von Teilproblemen letzten Endes von der gemeinsamen Überzeugung getragen, daß eine gemeinschaftliche Initiative im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik zum jetzigen Zeitpunkt eine conditio sine qua non für den Weiterbestand des Gemeinsamen Marktes ist.
"Widening" und "Deepening"
Angesichts der hier skizzierten Problemgebirge, die sich dem weiteren Fortgang der wirtschaftlichen Integration Europas in den Weg zu schieben scheinen, sollte das bisher Erreichte nicht aus dem Auge gelassen werden. Vielleicht ist erst heute, nach dem Ende der Übergangszeit des Gemeinsamen Marktes, der Mut jener europäischen Politiker zu würdigen, die am Startschuß für die EWG 1958 maßgeblich beteiligt waren. Die EWG ist heute bei allen Mängeln, die in der Natur ihrer Entwicklung liegen, eine der größten Handelsmächte der Welt. Ihre Attraktionskraft auf die übrigen europäischen Volkswirtschaften ist groß. Mit Großbritannien, Norwegen, Irland und Dänemark sind Beitrittsverhandlungen so gut wie eingeleitet. Sicherlich mag auch dieser Vorgang des "widening" seine Rückwirkungen auf die neuen Ansätze zum "deepening", zur Errichtung der Währungsunion, haben. Es findet mit dieser neuen Datensetzung fraglos eine Problemerweiterung statt. Aber die Ausweitung eines Problems hat nicht selten seine Lösung vorangetrieben. Mit der Erweiterung des Gemeinsamen Marktes ändert sich nichts daran, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft unter Vollendungszwang steht. Die gemeinsame Währungsunion wird nicht ausbleiben können.
Tabelle: Kunjunkturpolitische Zielgrößen in den EWG-Ländern für den Zeitraum 1971-1975 nach einem Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften
| Länder | Exportüberschuß in v.H. des BSP | Zulässige Preissteigerung des BSP in v.H. | Wachstum des realen BSP in v.H. | Arbeitslosenquote in v.H. der Erwerbsbevölkerung |
| Bundesrepublik | 1-2 | 2-2,5 | 4,5 | 1 |
| Frankreich | 0,5-1,5 | 2,5 | 5-5,5 | unter 2 |
| Italien | 0,5 | 2,5-3 | 5,5-6 | unter 3,5 |
| Belgien | 0,5 | 2,5-3 | 4-4,5 | 1,5-2 |
| Niederlande | 0,5-1 | 2,5-3 | über 4,5 | 1,5 |
| Lexemburg | - | 2-2,5 | 3,5 | - |
LITERATUR UND QUELLEN:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat über die Ausarbeitung eines Stufenplans für die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion, Brüssel, 4. März 1970;
Bundeswirtschaftsministerium: Grundlinien eines Stufenplans zur Verwirklichung einer Wirtschafts- und Währungsunion in der EWG (Schiller-Plan), in: EUROPE-Dokumente NR 565, Luxemburg und BrüsseI, 6. März 1970;
Finanzministerium Luxemburg: "Werner-Plan" für eine totale Währungsunion, in: EUROPE-Dokumente NR 566, Luxemburg und Brüssel, 10. März 1970;
Ministere des Finances (Bruxelles): Ein Drei-Phasen-Plan für eine europäische Währungsunion 1971-1977 (Snoy-Plan), in: EUROPE-Dokumente NR 567, Luxemburg und Brussel, 1 1. März 1970;
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Stufenpläne zur Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion der EWG, in: Wochenbericht, 37. Jg., Nr. 16/1970;
Rey, Jean: Währungspolitik im Gemeinsamen Markt, in: Vortragsreihe des Deutschen Industrieinstituts, 18. Jg., Nr. 48/1968:
v. d. Groeben, H.: Keine Wirtschafts- und Währungsunion ohne Steuerangleichung, in : DER EUROPÄER, Nr. 106/1970.
Schlaeger G.: Probleme einer gemeinschaftlichen EWG-Währung, in: Berichte des Deutschen Industrieinstituts, 3. Jg., Nr. 3/1969;
Schneider G.: Scheitert die europäische Integration an der Währungspolitik? in: Wirtschaftsdienst, 49. Jg., Nr. 6/1969, S. 330 ff.
erschienen in: BP Kurier, XXII. Jg., 1970, H. III, S. 8 ff.